Von Norm Sender

 

tcb-hannover-2003Am 14. Oktober 2003 gastiert T.C. Boyle in Hannover, um im Buchhaus Weiland seinen neuen Roman Drop City vorzustellen. Drei Stunden vor der Lesung bekommen wir die Gelegenheit, uns mit ihm zu treffen. Sechs Lesungen in sechs verschiedenen Städten an sechs aufeinander folgenden Tagen. Davor, danach und zwischendurch Foto-Sessions, Interviews, Signierstunden, Interviews und noch einmal Interviews – auf blauen Sofas, in fahrenden Zügen und schick möblierten Hotelzimmern. Ein straffes Programm, das T.C. Boyle während seiner Lesereise durch Deutschland und die Schweiz zu absolvieren hat. Vielleicht sollte er wie einst John und Yoko einfach im Bett bleiben und sich von dort aus den Fragen der Journalisten stellen. Zu seinem neuen Roman Drop City, der in der Hippiezeit spielt, würde es hervorragend passen. Für unsere Abordnung von www.tcboyle.de (Brigitte, Sven, Holger) steht jedenfalls von vornherein fest, dass wir dem Gefeierten ein wenig Abwechslung bieten wollen auf seiner knüppelharten Deutschlandreise. Also kein Interview, sondern nur ein zwangloses Kennenlernen und na klar, eine Handvoll Fragen zu unserer Website.
     Im Grand Hotel Mussmann soll das Treffen stattfinden, von 16:30 bis 17:00 Uhr. Ganz pünktlich sind wir aufgrund gewöhnlicher Zugverspätungen nicht. Aber egal. Der Termin hat sich ohnehin um etwa 20 Minuten verschoben, weil die Fotografen vor uns mehr Zeit benötigten als geplant und weil T.C. Boyle sich noch einmal »frisch« machen will. (Doch nicht etwa wegen uns?) Annette Pohnert vom Hanser Verlag verfrachtet uns in ein nüchternes Besprechungszimmer in der ersten Etage, dann ist es endlich soweit: Die Tür geht auf und Boyle schlurft herein: »Hi everybody!« Er überreicht uns eine CD mit 6 Songs von den Ventilators, jener Band, mit der er einst eine glanzvolle Karriere als Rock’n’Roller anvisierte. Betretendes Schweigen. Eigentlich wollten wir ihm zuerst etwas in die Hand drücken, doch er ist schneller.
     Es folgt eine kurze Vorstellung, dann ein bißchen Smalltalk. Schnell fühlt es sich an, als würden wir uns seit vielen Jahren kennen und wären eben zufällig zu einem kleinen Plausch in Hannover zusammengekommen. Wir stellen unsere Fragen, die wichtigsten zuerst. Hat er unsere Website schon genauer unter die Lupe genommen? »Yeah, great.« Wir haken nach. »Yeah, great«, wiederholt er und lacht. Wir berichten ihm, dass unsere Seiten schon nach kurzer Zeit 500 Visits pro Tag verzeichnen. Er zeigt sich davon überrascht, relativiert seine Verwunderung jedoch zugleich, indem er uns verrät, dass seine Homepage 5.000 Visits pro Tag registriert.
     Okay, nächstes Thema: In welcher Form können wir für unsere Website werben, gibt es von seiner Seite aus Einschränkungen? »No, no. Go ahead! Everything will be fine«, erwidert Boyle. Wir fragen, ob wir die What’s-New-Rubrik auf seiner Website ins Deutsche übersetzen und mit seiner Unterschrift auf unseren Seiten einbinden dürfen. Immerhin könnte man dabei ja auch einigen Blödsinn verzapfen, zumal bei unseren mangelhaften Englischkenntnissen. »I know. But if you really going insane with it, Brigitte will tell me«, lautet seine Antwort. Na, toll! Hat er also schon (s)eine Verbündete gefunden …
     Während Brigitte überglücklich und mit einem in jeder Hinsicht überlegenden Blick durchs ganze Hotelzimmer lächelt, bringen wir düpierten Männer weitere Ideen zur Sprache. Doch was immer wir Boyle vortragen oder fragen, die Antwort ist stets die gleiche: »Good idea, sounds like fun.« Zwischendurch erzählt er von seiner Website, vor allem von einem Besucher mit dem Namen NEWS YOU CAN USE, der im Message Board von www.tcboyle.com ein Quiz nach dem anderen veranstaltet. »I like NEWS YOU CAN USE«, sagt Boyle, »wonderful guy with his great contests. That’s wonderful stuff.« Wir hatten stets angenommen, dass es sich bei NEWS YOU CAN USE um jemanden aus Boyles Familie handelt. Aber falsch. Boyle klärt uns auf: »No, I met him once, after a reading in Chicago.« Dann fügt er hinzu: »You know, I look at his contests and I am get most of the answers right.«
     Jaja, schon klar …
     Sven beschwert sich daraufhin, wie unfair es sei, die Wettbewerbsfragen erst am Abend um 20 Uhr herauszugeben. Westküstenzeit wohlgemerkt. In Deutschland muss man sich um 3:00 oder 4:00 Uhr am Morgen aus dem Bett schälen, um überhaupt dabei sein zu können. Und um diese Zeit kluge und vernünftige Antworten zu geben, sei sowieso utopisch. »Yeah, true, the time difference«, bestätigt Boyle. »You know, we should do separate contests for the Europeans. We do the next contest when ›The Inner Circle‹ comes out. We should do two seperate contests then.« Wenn also der nächste Roman von Boyle erscheint, The Inner Circle (dt. Dr. Sex), werden die Europäer ihren eigenen Wettbewerb bekommen, bei dem es handsignierte Bücher oder andere attraktive Preise zu gewinnen gibt, eben NEWS YOU CAN USE.
     Wir sprechen danach über einen Zeitungsartikel, der in naher Zukunft über www.tcboyle.de erscheinen soll und darüber, welches Material wir dafür verwenden dürfen. Boyles Antwort können wir inzwischen erahnen: »Be creative! You have the CD with the Ventilators. Do your own thing. Have fun with it.« Eine Zusage nach der anderen. Super! Wir nutzen die Gunst der Stunde und fragen, wann denn nun endlich The Tortilla Curtain (dt: América) verfilmt wird. Nach seinem Kenntnisstand sei eigentlich alles da, erklärt er uns, Darsteller, Regisseur, Finanzierung. Im Mai 2003 hätten die Dreharbeiten beginnen sollen, dann im August. Doch bis jetzt ist nichts geschehen. Woran es liegt, kann er uns nicht sagen, weil er selbst nur die Filmrechte verkauft hat, ansonsten nicht weiter in dieses Vorhaben involviert ist, nicht involviert sein will. »Let’s see and hope for the best …«
     Wir sprechen schließlich noch über die Unterhaltsamkeit seiner Bücher. Die Zeit vergeht wie im Flug. Plötzlich wirkt Boyle müde. Verständlich. Erst diese vielen Journalisten, und dann wir. Er schlägt vor, noch schnell ein Gruppenfoto zu machen. Unser Geschenk hatten wir schon vorher überreicht: ein T-Shirt. Nicht, dass Boyle nicht genug davon hätte, nein, es ist ein selbstbedrucktes T-Shirt, das er von uns bekommt – auf dem Rücken die Adresse unserer Website, vorne der Schriftzug einer vor langer Zeit ausgestorbenen Biermarke: Quetzalcoatl Lite. T.C. Boyle scheint beeindruckt. »Oh, that’s great actually.«
     Die Möglichkeiten, dieses Bier neu aufzulegen und zu vermarkten, können wir nur noch in Ansätzen beschreiben. Die Zeit ist zu kurz. Und sie ist um. Vielleicht beim nächsten Mal, in zwei Jahren oder so. Dann können wir sicher auch von unserer Idee erzählen, als Per-Fo Co., Inc. eine völlig neue, vorverdaute, peptonisierte und sellerie-imprägnierte Sorte von Frühstücksflocken auf den Markt zu werfen. Merchandising? Läuft. Wir sind nach diesem ersten Gespräch sehr zuversichtlich …


Foto: Brigitte Endler