Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Ulrich Tepelmann

 

Wie viele von Euch, die mir auf Twitter folgen, vielleicht wissen, habe ich die Ruhepause nach der schlimmen Katastrophe hier im Januar genutzt, um mich in die Wüste zu verziehen, und hoffentlich die eine oder andere Geschichte zu ergattern. Eine geht so:

Ich war in Kingman am Valentinstag und wartete auf meinen Schatz in einer sehr lauten Rock-and-Roll-Hinterwäldler-eine-Stufe-über-dem-Ausgezähltsein-Bar (so wie ich sie mag), gönnte mir ein Glas Cola-Rum und antwortete meinen Twitter-Freunden, während besagter Schatz durch die Trödelläden streifte auf der Suche nach immer mehr unvergleichlichem Trödel, den sie nach Hause tragen und mit dem sie dann das Haus ausstatten konnte. Prima.
     Auf dem Männer-Klo gab es Graffiti wie: »Fickt euch, ihr liberalen Arschlöcher«, die Musik war so laut wie ein Hurricane, und meine Daumen bearbeiteten mein Handy wie in einem digitalen Ballett. Aber es war Valentinstag und ich glaube, das war zum Teil Schuld an dem, was dann folgte. Ich saß an der Bar, über mein Handy gebeugt, und zollte der schlanken vierzig-nochwas Jahre alten Frau, die drei Hocker weiter saß, keine Aufmerksamkeit (oder so gut wie keine). Sie saß allein und bearbeitete mit ihrem Zeigefinger träge die Öffnung ihrer leeren Bierflasche: hinein und wieder hinaus. Okay. Alles klar. Ach, ich Unschuldiger. Wie wenig ich doch mitbekam von der kraftvollen magnetischen maskulinen Aura, noch dazu einer sympathischen, die ich ohne es zu wollen ausstrahlte, als plötzlich die Frau neben mir stand, sich über mich beugte und so in meine persönliche Zone eindrang.
     »Hi«, sagte sie. Die Musik brandete heran.
     »Hi«.
     Sie sagte, wie sie hieß, ich sagte ihr meinen Namen. Wir schüttelten uns die Hände.
     »Ich habe außersinnliche Wahrnehmungen«, sagte sie.
     »Sehr schön«, sagte ich, »und ich möchte nicht unhöflich sein, aber eigentlich habe ich gerade hier zu tun, auf meinem Handy.«
     »Sie spielen ein Spiel?«
     »Nein, tut mir leid.«
     In dem Moment merkte ich, dass da ein zusätzliches Gespräch ablief, und das war zwischen ihr und ihr. Sie murmelte etwas. Sprach mit niemandem besonderen. Murmelte noch mehr. Und sie war direkt hier, über mir. Was konnte ich tun? Ich rückte ein Stück die Bar hinunter, saß zwischen zwei Gruppen gesunder (oder nicht so gesunder) amerikanischer Männer. Ich beugte mich über mein Handy. Eine Minute später war sie wieder da und wiederholte unsere vorherige Unterhaltung, Wort für Wort. Ich nahm das eine Weile hin, versuchte sie zu ignorieren, und schließlich musste ich doch aufstehen und ging quer durch den Raum hin zu einer verlassenen Ecke hinter dem Billardtisch.
     Und ja, Ihr habt es erraten: Sie folgte mir. Und wieder versuchte ich sie auszuschließen, aber das wollte sie sich nicht gefallen lassen. Ärgerlich trat sie gegen den Tisch, bedrohte so die Heiligkeit meines Drinks, und an diesem Punkt ging ich zurück an die Bar und dieses Mal zwängte ich mich eng zwischen die Trinker mit den schlecht gelaunten Bärten, so dass für sie kein Platz blieb. Als ich dem Mädchen hinter der Bar bedeutet hatte, meinen Drink aufzufüllen, erzählte ich ihr, dass die Frau mich in den Wahnsinn treibt, und sie sagte: »Yeah, ich kümmer‘ mich darum.«
     »Ist sie von hier?«, fragte ich.
     »Nur zu Besuch. Keiner kennt sie richtig. Sie ist vor ein paar Wochen bei einer Freundin eingezogen.«
     Okay. Ende der Geschichte. Als ich mich umdrehte, war die Frau verschwunden. Später, als Frau B. mir Gesellschaft leistete, ging ich zur Bar um zu bezahlen, und das Mädchen sagte zu mir: »Haben Sie gehört, was passiert ist?«
     Ich schüttelte den Kopf.
     »Sie ist über die Straße gegangen und hat sich auf die Eisenbahnschienen gelegt, aber dann hat jemand die Polizei gerufen und die haben sie abgeholt.«
     Genau in dem Moment rumpelte ein Frachtzug mit zehntausend Waggons vorbei, sechzig Meter hinter der offen stehenden Tür. Was habe ich da gesagt? Ich weiß nicht. Sowas wie »Wow«. Aber es war Valentinstag, und ich musste damit klarkommen: Diese arme, verwirrte ASW-Frau, zurückgewiesen von einem Mann, den sie noch nicht mal kannte (und von dem sie auch nicht die leiseste Ahnung hatte, wie heilig er war, außer vielleicht auf einer paranormalen Ebene), die hatte das Gefühl, dass ein Leben ohne ihn einfach keinen Wert hatte.
     Gibt es eine Moral in dieser Geschichte? Oder wenigstens eine Pointe? Wenn ja, dann hat sie mit der unergründlichen, unaussprechlichen Einsamkeit des Lebens auf diesem Planeten zu tun. Wollt ihr mich verarschen? Heiliger süßer Jesus! Errette uns! Errette uns auf der Stelle!


Im Original erschien der Text am 27. Februar 2018 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann. Foto: T.C. Boyle.