Von Danny Bloom

Deutsch von Ulrich Tepelmann

 

T.C. Boyle, der amerikanische Schriftsteller, mit über 27 Romanen und Kurzgeschichtensammlungen in englischer Sprache und über 12 Fremdsprachen, leitet einen in dieser Form einzigartigen Fanclub. Er ist sehr informell, und es gibt auch keine offizielle englischsprachige, von Fans betriebene, Website, aber während der letzten 30 Jahre hat sich eine Fankultur entwickelt, innerhalb derer der Autor über seine eigene Website (www.tcboyle.com) und über Twitter kommuniziert. (Siehe auch diese deutsche Website von Holger Reichard: www.tcboyle.de)

Tatsächlich kommt etwa die Hälfte der eingehenden Tweets von Lesern und Fans in Deutschland, und viele von ihnen sind in deutscher Sprache verfasst, Boyle, der Spanisch und ein wenig Deutsch spricht, antwortet auf die Tweets zuweilen auch auf Deutsch. Während seine Romane und Kurzgeschichten auch ins Französische, Spanische, Italienische und ein Dutzend anderer Sprachen übersetzt werden, erfährt er die größte Resonanz in Deutschland. Er fliegt nach jedem neu veröffentlichten Roman über den großen Teich und hält Vorträge und Lesungen, gibt Fernseh-Interviews und Signierstunden im ganzen Land, häufig in Berlin oder Köln. Kein anderer amerikanischer Schriftsteller hat solch eine Gemeinde von Followern in einem fremden Land. Boyle ist eine Art literarischer Rockstar und seine Bühnenshows sind immer ausverkauft.

Was ist also die Ursache für dieses kulturelle Phänomen, das Deutschland mit Amerika, mit dem geschriebenen Wort und dem öffentlichen Auftreten eines Schriftstellers aus Kalifornien verbindet? Zwar besucht Boyle auch andere Länder in Europa, und er ist auch dort wohlgelitten, sowohl von Lesern als auch von Kritikern, jedoch, wie er in einem Tweet schrieb:

Ich war in Deutschland mehr als in anderen Ländern auf Lesereise. Das zweitmeiste Land war Frankreich, gefolgt von Großbritannien und allen anderen. Ich kann nicht überall hin, und diese Reisen strengen mich sehr an, also muss ich auswählen.

In seinem Blog bemerkt er Anfang Januar 2018:

Was Europa betrifft, freue ich mich auf die Veröffentlichung einer neuen Sammlung von Kurzgeschichten, die exklusiv für Deutschland zusammengestellt worden ist und Ende des Monats herauskommt, und mein neuer italienischer Herausgeber, La Nave di Teseo Editore, wird demnächst die italienische Übersetzung von ›Die Terranauten‹ herausbringen, während mein langjähriger Verlag in Frankreich, Editions Grasset, die französische Version veröffentlichen wird.

Boyle sagt über all dies:

Ich bin meinen Lesern dankbar. Und ich weiß, wie man eine Show abzieht.

Ein Teil der Show, neben seinen öffentlichen Auftritten in den USA und in Europa, ist die einzigartige und sehr persönliche Art, in der er seine Twitter-Nachrichten verfasst. Während die meisten Leute Twitter verwenden, um Nachrichten, z.B. aus der Politik, zu kommentieren, hat Boyle sich einen Twitter-Account zugelegt, weil sein Verleger in New York ihn mehr ins Scheinwerferlicht rücken wollte. Es gibt auf Twitter ja keinen Ton oder bewegte Bilder, nur Tom Boyle, der freundlich und witzig ist und die Plattform als Schaukasten für seine Performer-Qualitäten nutzt, mit vielen Fotos und Schnappschüssen, was sich bei ihm in Santa Barbara morgens und abends so tut.

Seine Fans in den USA und Deutschland kommentieren das, wobei Tom dann wieder seine Kommentare hinzufügt. Auf diese Weise geht das Lovefest zwischen Leser und Autor immer weiter, und Tom schließt quasi seine Fans auf der ganzen Welt in sein Leben ein. Im Moment kommen die meisten Kommentare von Lesern aus Deutschland und den USA, und es gibt nur ganz wenige, wenn überhaupt, von Lesern aus Frankreich, Italien oder Großbritannien.

T.C. Boyle erklärte dem Reporter Allan Pierleonie von der Zeitung Sacramento Bee:

Mein Verleger (Ecco Books) sagte, ich müsste mir einen Twitter Account (…) zulegen. Ich weiß längst nicht alles darüber. Ich mach‘ einfach nur eine Show, so im Sinne von: Hier kriegt ihr einen Einblick in das verborgene Leben eines weltberühmten Literatur-Stars.

Der Reporter fügte hinzu: »Boyles Twitter-Beiträge sind bezeichnend für seine Sicht auf die absurden Dinge der Welt. Ein immer wiederkehrender Tweet ist ein Foto von dem jeweiligen Frühstücksei (noch in der Schale) mit dem Text: ›Das Ei‹. In einem anderen Foto liegt ein Ei auf einer Vase, mit dem Untertitel: ›Das Ei, in formeller Pose.‹ Andere Favoriten sind Fotos von seinem Hund, einer keimenden Kartoffel, vom frühen Morgen auf einer Straße in der Nähe seines Hauses und von einer verwesenden Ratte.«

Boyle weiter zu dem Reporter:

Der erste Selfie, den ich je gemacht habe, war reiner Zufall. Ich wollte den schwarzen Schlamm, den ich aus aus meinem Fischteich geholt hatte, zeigen (ich wollte ihn als Dünger auf dem Boden in meinem Garten aufbringen). Ich lehnte mich also über den Schlamm und fotografierte ihn und merkte, dass mein Gesicht sich in dem glänzenden Schlamm spiegelte. Also, das war eine coole Sache: ein Matsch-Selfie.

Man kann also sehen, dass Boyle seine Tweets als Performance-Plattform und nicht zu Werbezwecken für seine Romane, z.B. um Links zu Buchrezensionen zu posten, nutzt. Er hält nichts von Reklame für sich selbst und braucht sie auch gar nicht. Seine Bücher sprechen für sich. Er benutzt Twitter, um mit seinen Lesern und Fans weltweit in Kontakt zu bleiben, ohne sich um Staatsgrenzen kümmern zu müssen, über Zeitzonen, Ozeane und Bergketten hinweg; außerdem will er auch einfach nur unterhalten. Es ist wahre Liebe, und so ist er ein Idol, ein »Weltkünstler« geworden. Und zwar engagiert, warmherzig, zuweilen leichten Gemüts, aber immer durchaus ernsthaft.

Seine deutschsprachigen Fans und Leser antworten sehr gerne auf seine täglichen, und das heißt tatsächlich täglichen Tweets, genauso wie seine amerikanischen Fans und Freunde. Das Ganze ist Teil dessen, was seinen Charme und seine Persönlichkeit ausmacht, und so ist auch die Beziehung zu seinen Fans und Lesern in Deutschland so bemerkenswert. Und jeder kann, überall auf der Welt, seine Tweets lesen, selbst posten oder nur im Hintergrund »lauern«, und sich über die Witze und beiläufigen Bemerkungen amüsieren. Aber man sieht auch die ernste Seite eines Künstlers/Performers auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Deutsche Fans »erleben« Tom Boyle, sie verstehen ihn, und im Gegenzug erlebt er sie ebenfalls. Das Verhältnis ist wirklich erstaunlich – und es ist kein Ende in Sicht.


Im Original erschien der Text unter anderem am 02. Februar 2018 im Blog der Times Of Israel. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von Danny Bloom. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann. Foto: T.C. Boyle, via Twitter @tcboyle.