Von T. Coraghessan Boyle
Deutsch von Ulrich Tepelmann
Es ist ruhig auf der alten Hacienda, und das ist für mich total in Ordnung. Kurz nach Halloween bin ich aus den Bergen heruntergekommen (es hatte zum ersten Mal ordentlich geschneit), und seitdem hab ich mich durch ein paar herrlich gelassene Tage treiben lassen. Meine Reise nach Austin zur Lesung an der University of Texas hat Spaß gemacht, ein Tag für die Anreise, ein Tag für den Auftritt, um alte Freunde zu treffen und mein Archiv im Ransom Center zu besuchen, ein Tag zum Zurücksausen. Ausnahmsweise zeigten die Fluggesellschaften ein wenig Nachsicht mit mir und hielten ihren üblichen Sack voller Tricks unter Verschluss, so dass die Flüge, wenn sie schon nicht angenehm zu nennen waren, so doch wenigstens ein kleines bisschen weniger qualvoll als sonst waren (keine Verspätungen, keine Annullierungen, keine Leibesvisitationen, keine Hinterzimmer oder Gummischläuche). Nach der Wahnsinnshektik während der ersten Hälfte dieses Jahres mit der Nonstop-Tournee und dem darauffolgenden nervenaufreibenden Endspurt, um Die Terranauten fertigzubekommen, begrüße ich die Auszeit, obwohl ich zugeben muss, dass ich Schwierigkeiten habe, mir vorzustellen, was ich mit dem Rest meines Lebens anfangen soll. Ja, ja, ich sammle natürlich Ideen für Geschichten in der Hoffnung, dass es irgendwann »Klick« macht, aber bis dahin habe ich beschlossen, mein Leben dem Trinken am Vormittag, dem Flirten mit Cocktail-Kellnerinnen am Nachmittag und dem Glücksspiel am Abend zu widmen. Ich kann Euch sagen, es funktioniert. Und es macht eine Menge mehr Spaß als zu meditieren.
Was Neuigkeiten betrifft: Seit Milo meinen Twitter-Account in diese Seiten integriert hat, könnt Ihr alle den berauschenden, temporeichen Verlauf meines glamourösen Literatenlebens in Echtzeit verfolgen, obwohl es natürlich dadurch limitiert ist, dass wir aufgrund des begrenzten Platzes nicht wirklich in eine tiefgehende (oder noch nicht mal oberflächliche) Diskussion einsteigen können. Und hier kommen glücklicherweise die Messagistas auf dieser Website ins Spiel, und jawohl, wir versuchen die automatische Sperre zu umgehen, die neue Messagistas seit einigen Monaten daran gehindert hat, sich anzumelden. Meine guten Roboter befinden sich gerade im Krieg mit den Pornbots, die uns überschwemmen, sobald die Kontrollen ein wenig nachlassen. Ich zähle auf meine Technik-Truppe (Milo und Frau B.), die bald einen zufriedenstellenden Mittelweg finden werden. Darüber hinaus gibt es diesen Monat vor allem Neuigkeiten an der Filmfront. Ich habe erfahren, dass amazon vorhat, eine Kabelserie aus meinem zweiten Roman, Grün ist die Hoffnung, zu machen, und das Condé-Nast Entertainment weiter an seinen Plänen für einen Spielfilm von Wiedererleben arbeitet. Ich wünschen ihnen viel Erfolg. Genauso wie Robert Marciniak, der eine Verfilmung meines ersten Romans, Wassermusik, entwickelt. Dazu kommt, dass Die Terranauten vorweg schon mal einige Aufregung verursacht, obwohl es erst nach den Feiertagen herauskommen wird. Auch das werden wir dann sehen.
Aber jetzt zurück zum Wesentlichen. Ich schreibe diesen Bericht an Thanksgiving, Frau B. ist mit Vorbereitungen beschäftigt, ich werde als Küchenhilfe fungieren, eine Menge Gäste wird erwartet, der Hund wird sich überfressen und sich in irgendeinem geheimen Hundewinkel des Hauses übergeben. Wie es sich gehört. Alles ist gut und der Feiertag schreitet voran. Und doch, wenn ich an diese Vögel denke, diese Truthähne, diese Geschöpfe, dazu bestimmt, in den tropfnassen herbstlichen Wäldern zu leben statt im Stall, im Käfig und im Schlachthof, zitiere ich Euch die ersten Zeilen von Fleischeslust:
Über Fleisch hatte ich mir nie viel Gedanken gemacht. Es war einfach da, im Supermarkt, in der Plastikfolie; es steckte zwischen Sandwichscheiben mit Mayo und Senf und Gewürzgurken; es rauchte und spritzte auf dem Grill, bis jemand es umdrehte, und dann lag es auf dem Teller, zwischen der Kartoffel in Alufolie und den Karottenstreifen, sauber eingeschnitten und in einer Pfütze aus rotem Saft. Rind, Lamm, Schwein, Wild, triefende Hamburger und saftige Rippchen – es war mir alles einerlei, es war eben Essen, der Brennstoff des Körpers, etwas, das man kurz mit der Zunge kostete, ehe das Verdauungssystem sich darüber hermachte. Was nicht heißen soll, dass mir die damit einhergehenden Implikationen völlig unklar gewesen wären. (Deutsch von Werner Richter)
Nun, damit ist alles gesagt, oder? Zeit, sich in die Küche und dann ins Esszimmer zu begeben, Zeit, das Glass zu heben und ein bisschen Dankbarkeit für den Überfluss zu empfinden, den dieses Leben den Glücklichsten unserer Spezies beschert, und zu denen ich mich selbst zähle. Guten Appetit!
Im Original erschien der Text am 26. November 2015 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.
