Von T. Coraghessan Boyle
Deutsch von Ulrich Tepelmann
Dies war ein Monat mit grauem Himmel, kühler als sonst (trotz der Hitzewelle im Inland), und an den meisten Tagen beehrte uns dann am späten Nachmittag eine schwache Sonne. Ich habe das Übliche gemacht, hab‘ zweimal täglich zusammen mit meinem Hund den Strand aufgesucht, habe neue Kurzgeschichten geschrieben, um die nächste Sammlung, The End Is Only A Beginning, zu vervollständigen, habe gelesen, mich entspannt und das Reisen auf ein Mininum beschränkt. Das wird im Herbst anders, wenn die große Deutschland-Österreich-Tournee für den neuen Roman No Way Home meine Ruhe stört (Wien, Hamburg, München, Berlin, Düsseldorf sind bis jetzt gebucht), und dann wird im Frühjahr die Amerika-Tournee Fahrt aufnehmen. Ich hoffe, ich kann die Sammlung bald abliefern und danach den nächsten Roman erkunden.
Dieses Jahr markierte den fünfzigsten Jahrestag der Niederlage Saigons, womit Amerikas schändlichster und furchtbarster Krieg zu Ende ging. Im letzten Monat habe ich einige der klassischen Bücher über Vietnam erneut gelesen, Ein Kriegsgerücht von Philip Caputo, An die Hölle verraten von Michael Herr, Was sie trugen von Tim O’Brien, und habe die neue Netflix-Doku über den Krieg angeschaut (die besonders gut die Protestbewegung zu Hause in den USA behandelt) sowie Ken Burns‘ meisterhafte Studie von 2017 erneut gelesen, die sogar noch besser ist als seine Dokumentation Der amerikanische Bürgerkrieg, weil ein großer Teil aus direkten Zeugnissen von Kriegsteilnehmern beider Seiten vor der Kamera besteht. Sie ist zutiefst bewegend und erschütternd und lässt einen mit einer Art grimmigem Unglauben darüber zurück, dass solch eine monumentale menschliche Katastrophe jemals proklamiert und weiterverfolgt wurde. Und in wessen Namen und wofür? Das macht einen misstrauisch gegenüber unseren Führern, oder? Man zuckt immer wieder zusammen angesichts dessen, was heute in Gaza und in der Ukraine geschieht und zittert vor dem, was unser großer Anführer, das selbsternannte Genie im Weißen Haus, noch für uns auf Lager hat. In Michael Herrs Buch fragt jemand einen Schützen im Hubschrauber: »Wie können Sie auf Frauen und Kinder schießen?«, und er antwortet: »Das ist einfach, man braucht ja nicht so viel Blei für sie.«
Im Original erschien der Text am 31. Mai 2025 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.