Von Norm Sender

 

And now for something completely different: T.C. Boyle. Im Januar 2017 erschien im Hanser Verlag sein neuer Roman Die Terranauten. Seine Lesereise durch Deutschland und die Schweiz lässt danach nicht lange auf sich warten. Mitte Februar ist es soweit: Wie in den Jahren zuvor begleite ich mit www.tcboyle.de aufmerksam seine Auftritte und sammle fleißig die Links zu den Rezensionen und Interviews in den Medien, um sie über unsere Website und Social Media Kanäle an die große Fangemeinde des Schriftstellers weiterzureichen. Niemand soll etwas verpassen.     Wenn ich gegenwärtig einen Blick auf unsere Facebookseite oder unseren Twitterkanal werfe, vor allem auf die effektheischenden Headlines, die den Besuchern unserer Seiten wie rollige Katzen ins Auge springen, frage ich mich jedoch, welche Person dort eigentlich im Mittelpunkt steht: die, die dort im Mittelpunkt stehen sollte, nämlich T.C. Boyle, oder aber ein äußerst zweifelhafter US-Präsident, dessen Namen ich hier ganz bewusst und aus guten Gründen nicht weiter erwähnen möchte.
     Natürlich teile ich mit Boyle und vermutlich den größten Teil seiner Leserschaft Sorgen, Frust und Verärgerung über die aktuellen politischen Entwicklungen. Und natürlich verstehe ich: Wenn man als Journalist in diesen Tagen T.C. Boyle vor seiner Nase, seinem Mikrofon oder Notizblock hat, dann muss man ihn fragen, wie er die besorgniserregenden Ereignisse in der Welt einordnet und bewertet, zumal als Amerikaner. Viele wollen das wissen. Ich auch. Aber geht das alles nicht auch eine Spur dosierter, sachlicher, unaufgeregter?
     Eine andere Frage, über die man meines Erachtens zumindest einmal nachdenken sollte, wirft Oliver Jungen in der FAZ auf:

Sollte man an Literaturabenden vielleicht einfach nur über Literatur sprechen? Das könnte einen gewissen Herrn, der nach eigenen Angaben seit der Schule kein Buch mehr komplett gelesen hat, schließlich am meisten ärgern.

Beim Auftritt von T.C. Boyle in Braunschweig, am 17. Februar 2017, ist das Thema T. glücklicherweise schnell abgefrühstückt. Es geht hier in erster Linie um seinen neuen Roman. Für mich erfüllt sich an diesem Abend ein lang gehegter Wunsch. Denn vor rund 14 Jahren, im Spätsommer 2003, erblickte www.tcboyle.de in Braunschweig das Licht der virtuellen Welt. Seither gebe ich mich der Vorstellung hin, den gefeierten Schriftsteller eines Tages im Hauptquartier seiner deutschsprachigen Fangemeinde begrüßen zu können.
     Dieser Tag ist nun gekommen. Dank den Bemühungen der Buchhandlung Graff, die in diesem Jahr ihr 150-jähriges Bestehen feiert, und insbesondere dank einer tapferen Angestellten der Buchhandlung Graff, die wohl wie ich schon seit langem den Wunsch in sich trägt, T.C. Boyle in Braunschweig zu sehen. Und nicht nur er und seine Frau Karen sind nun in meiner niedersächsischen Heimatstadt zu Gast, sondern auch viele Freunde und Bekannte, die ich in den zurückliegenden 14 Jahren über www.tcboyle.de kennenlernen durfte. Aus Berlin, Oldenburg, Bremen, Magdeburg, Uelzen, Thüringen und Luxemburg kommen sie angereist.
     Die Veranstaltung im C1-Kino ist mit 600 Besuchern komplett ausverkauft und ein voller Erfolg. (Ich bin überzeugt, man hätte auch das Staatstheater mit 900 Plätzen gefüllt, nur war dieses leider schon belegt.) Freude an seinem Auftritt im C1 hat offenbar auch T.C. Boyle, wie ein paar Tage später ein Tweet von ihm dokumentieren wird.

Margarete von Schwarzkopf moderiert souverän. Dass sie nicht alle Pointen von T.C. Boyle gekonnt ins Deutsche übersetzt, ist zu verkraften. Wie das laute Gelächter im Kinosaal verrät, kann das Publikum dem Interview auch auf Englisch gut folgen.
     Schwieriger wird es, als Boyle eine längere Passage seines neuen Romans vorträgt. Zu schnell, zu viele unbekannte Vokabeln. Dies kompensiert jedoch die Schauspielerin Fanny Staffa. Sie liest eine weitere längere Passage des Buches auf deutsch, ebenfalls sehr souverän, wenngleich ich anfangs befürchte, dass sie es mit ihren Kunstpausen und theatralischen Einlagen ein wenig übertreibt. Doch nach den ersten Sätzen findet sie eine gute Balance in ihrer Vortragskunst.
     Besonders freut mich, dass www.tcboyle.de nach längerer Zeit wieder einmal auf der Bühne Erwähnung findet. Herzlicher Dank dafür an Joachim und Thomas Wrensch von der Buchhandlung Graff. Auch für die Einladung zum mitternächtlichen Essen, das im Anschluss an die Lesung und die Signierstunde stattfindet – mit T.C. Boyle, seiner Frau, der Presseleiterin des Hanser Verlags und den anderen Bühnenakteuren.
     Das Beisammensein in kleiner Runde erwarte ich als Höhepunkt des Boyle-Abends in Braunschweig. Wird es aber nicht, sondern der etwa 10-minütige Fußweg vom C1-Kino ins Hotel. Hier habe ich T.C. Boyle endlich mal für mich allein. Nach 14 Jahren www.tcboyle.de immer noch ein seltener Moment. Mit ihm durch das verschlafene Braunschweig zu latschen und währenddessen über Poetry Slams diesseits und jenseits des Atlantiks zu plaudern, hat etwas Surreales, und soweit ich es beurteilen kann, liegt das ausnahmsweise mal nicht an meiner unterirdischen Fremdsprachenkompetenz.
     Sehr real hingegen gestalten sich die weitere Nacht mit Freunden aus Bremen und Braunschweig, mit White Russians in der Cocktailbar und einem letzten Bier um 4 Uhr morgens, sowie der Kater am nächsten Tag.


Foto: © Günter Poley, poleyroid.de