Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Ulrich Tepelmann

 

Ein Zitat aus meiner Erzählung Der Fünf-Pfund-Burrito: »Wir durchleben unsere Zeit auf Erden in einer Anhäufung von Millisekunden, Sekunden, Minuten, Stunden, Tagen und Jahren, und das Leben ist ein Weg, dem wir alle, ausnahmslos, bis zum Ende folgen müssen. Gibt es Veränderung – oder auch nur eine Hoffnung darauf? Ja, aber Veränderungen sind strapaziös, schlecht für die Nerven und fast immer eine Wendung zum Schlechteren.« (Übersetzung von Dirk van Gunsteren.) So war es auch für Salvador, Protagonist der Geschichte und Erschaffer des titelgebenden Burrito, aber was ist mit uns anderen? In einem von Woody Allens Filmen sagt die Ehefrau: »„Du hast Angst vor Veränderungen«, und der Mann erwidert: »Veränderungen bedeuten den Tod.«
     Ich für meinen Teil mag einen netten, sanften Verlauf, ohne Überraschungen, und Neues will ich lediglich in meiner Arbeit. Und so verlief der vergangene Monat in einem vertrauten, entspannten und mir Sicherheit gebenden Rhythmus. Ich unternahm zwei Reisen – zum Tucson Book Festival und nach Port Angeles im Staat Washington zum Raymond Carver Fest – aber die waren bemerkenswert stressfrei und eine kleine Freude für sich. In Tucson hielt ich eine Solo-Lesung und nahm an einer Podiumsdiskussion mit zwei Autoren teil, die ich kenne und schätze – Lisa See und Viet Thanh Nguyen – und in Port Angeles unterhielt ich das Publikum, indem ich Chicxulub und die Burrito-Geschichte brachte, wegen des Gegensatzes. Den Rest des Monats jedoch widerstand ich jeglicher Abwechslung, obwohl natürlich jedes Gerät in meiner unmittelbaren Umgebung ständig kaputt war, aber das ist eine Art von Kontinuum, die dem Gefäßsystem des Lebens selbst innewohnt: Veränderung ist gleich Abnutzung, wie uns Coetzee in Schande mit dem Motiv des Abgenutzten/Auf-gebrauchten in Erinnerung ruft.
     In letzter Zeit habe ich meine Tage so zugebracht, wie es mir am besten gefällt – ich habe geschrieben, gelesen und mich so oft wie möglich in der freien Natur aufgehalten, und ja, ich habe in meinem eigenen Bett geschlafen, mit weit geöffnetem Fenster, um die Kühle der nebelverhangenen Nacht hereinzulassen. Auch meine Abenteuer in der Natur waren harmonisch, obwohl ich am Ende das Leben von ein paar hundert meiner Mitgeschöpfe auf verhängnisvolle Weise verändert habe – Mückenlarven, von denen meine Regentonne nur so wimmelte. Sie werden sich nie verpuppen oder sich auch nur das kleinste Molekül Säugetierblut schmecken lassen – das ist eine echte Tragödie im Buch der Überträger von Krankheiten. Andererseits hatte ich ein magisches Erlebnis mit einem Rotluchs, der mir aus einer Entfernung von vielleicht zehn Metern in die Augen starrte und zwar volle fünf Minuten lang, bis ein Auto auf der Straße hinter mir vorbeifuhr und er wie lebendiger Rauch verschwand.
     Heute werde ich an meinem neuen Roman arbeiten, feiere aber auch die Herausgabe der dicken spanischen Übersetzung meiner ausgewählten Erzählungen und die bevorstehende Veröffentlichung der letzten Kollektion I Walk Between the Raindrops in der deutschen Übersetzung. Wenn ich für heute fertig bin, kann ich hoffentlich ins Waldesgestrüpp gehen und mit allen möglichen Kreaturen kommunizieren, wobei neugierige Luchse und auffliegende Habichte ganz oben auf meiner Liste stehen und weit unten Mücken, zusammen mit ihren Gliederfüßler-Genossen, den Zecken. Ich habe vor, mein ganzes Blut da zu behalten, wo es hingehört, aber man weiß ja nie …
     Ciao.


Im Original erschien der Text am 02. Mai 2024 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.