Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Ulrich Tepelmann

 

Das große Ereignis in der letzten Woche war, dass zwei Kolobri-Küken geschlüpft sind, direkt hier vor dem Küchenfenster. »Direkt« heißt, noch nicht mal einen Meter vom Fenster entfernt, was bedeutet, dass wir es wie durch eine Nestkamera in Naturfilmen sehen konnten. Im ersten Nest, ein Stück tiefer im Kamelienbusch gelegen, gab es kein Ergebnis. Darin waren zwei winzige Eier, so groß und so geformt wie Bonbons von Good & Plenty, aber irgendjemand kippte mitten in der Nacht das Nest um und holte sie heraus (vermutlich eine Ratte, aber ich würde es auch einem der hiesigen Opossums oder Waschbären zutrauen). Das zweite Gelege war von Erfolg gekrönt, und ich konnte beobachten, wie sich die beiden Küken im Nest drängten, bis sie am nächsten Morgen außerhalb des Nests saßen und herauszufinden versuchten, wie ihre Hubschrauberflügel funktionierten. Gnus können eine Stunde nach der Geburt aufstehen und herumlaufen – und das ist auch verdammt gut so, mit den ganzen Hyänen, die auf der Jagd sind – aber Kolibris? Wie sollen die denn an Nahrung kommen? Der eine hat das Problem mit den Flügeln gelöst und ist weggeflogen, doch der andere verbrachte eine weitere lange und feuchte Nacht – kein Nest, keine Mutter, keine Geschwister – bevor er am nächsten Morgen schließlich die Lösung fand und losschwirrte, um zu üben, wie man über der großen Auswahl an Blumen im Garten schwebt. Das nennt man Natur.
     Was die Neuigkeiten angeht, so sollt Ihr wissen, dass ich mit dem neuen Roman (Arbeitstitel: No Direction Home) zügig vorankomme und hoffe, ihn noch zum Jahresende fertigstellen und abliefern zu können. Das Schreiben strukturiert meinen Tagesablauf. Wenn ich an dem Tag fertig bin, gehe ich nach Möglichkeit hinaus, an den Strand, auf eine Wanderung oder bleibe hier im Garten, schneide die Vegetation zurück, die nach dem herrlich verregneten Winter/Frühling dschungelartig gewuchert ist. Vor ein paar Wochen habe ich das dritte Jahr in Folge zusammen mit meiner Tochter Kerrie eine Vorstellung im Santa Barbara Art Museum gegeben. Diesmal haben wir Die Wohnung gebracht, indem ich den glücklosen R. verkörperte, der Madame C’s Wohnung en viager gekauft hat, was ihr erlaubt, dort bis an ihr Lebensende zu wohnen, nur um festzustellen, dass ihr Leben sehr viel länger dauert, als er es sich vorgestellt hat. Kerrie spielte die Respekt einflößende Madame C. Am vergangenen Wochenende hat mich Cerdering Fox’s Word Theatre umgehauen, mit einer großartigen Aufführung derselben Geschichte mit Christina Pickles und Christopher Gorham. Für mich war es toll, im Publikum zu sitzen und den Pulsschlag der anderen Zuhörer zu spüren, während die Geschichte ihre Überraschungen lieferte. Es hat mir wirklich sehr viel Freude gemacht. Noch besser war, dass ich die Fahrt runter nach L.A. in der Bahn genießen konnte, anstatt mich mit dem Verkehr herumzuschlagen (die meisten Leute stehen wirklich gerne Stoßstange an Stoßstange oder wehren sich gegen unkoordinierte mörderische Fahrer, die mit hundertfünfzig Sachen unterwegs sind, aber ich bin eine Ausnahme).
     Übrigens, als ich anlässlich der Veröffentlichung meines ersten Buches, Tod durch Ertrinken, mit Live-Lesungen anfing, lebte ich in L.A. und versicherte meinem Verlag, dass ich ohne Fahrer, Koordinator oder bewaffneten Wachmann zum Veranstaltungsort kommen könne. Natürlich hatte ich nicht mit dem Verkehr gerechnet. Als ich in der Buchhandlung ankam, war ich eher bereit zu töten als witzig, zugänglich und sanftmütig zu sein. Seitdem bestehe ich darauf, zum Veranstaltungsort gefahren zu werden. (Falls Ihr Euch wundert: Es hat funktioniert.)
     Ciao für heute.


Im Original erschien der Text am 15. Juni 2024 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.