Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Ulrich Tepelmann

 

Neulich bin ich am Strand spazierengegangen, um dann zu schwimmen und ein bisschen Bodysurfing zu betreiben, und da traf ich auf den Kadaver eines Delfins. Er war, selbst im Tode, ein elegantes und dynamisches Geschöpf. Ich war hocherfreut, ihn aus der Nähe studieren zu können (ein Meter achtzig lang, mit Zähnen wie ein Sägeblatt), jedoch bestürzte mich der Anblick eines ordentlichen Lochs mit einem guten Zentimeter Durchmesser in seinem Nacken. Ansonsten war er vollkommen. Ich habe Seehunde gesehen, sowohl tote wie lebendige, die durch Haie verursachte Verwüstungen trugen, aber noch nie so etwas wie das hier. Jedenfalls erfreuten sich die Möwen an dem Ganzen, und mein Hund musste davon abgehalten werden, sich an dem Kadaver zu schaffen zu machen, der bereits einen gewaltigen Gestank verbreitete.
     Wir hatten Glück, dass wir bisher von der extremen Hitze verschont geblieben sind, die in großen Teilen der USA und Europas wütet. Die Temperaturen lagen im normalen Bereich für diese Jahreszeit – mit Höchstwerten etwas über 20 Grad Celsius – und die Meeresschicht, die uns den grauen Mai und die Juni-Tristesse beschert, hat sich auch den Juli hindurch gehalten. Hab‘ ich schon erwähnt, dass ich die Sonne hasse? Das einzige Wetter, das mir hier zusagt, ist strömender Regen, ein Wetter, das wir höchstwahrscheinlich nie mehr erleben werden; davon abgesehen, fühle ich mich wohl bei trübem Wetter und Nächten mit höchstens fünfzehn Grad Celsius, die es Frau B. und mir erlauben, eingekuschelt in zwei Decken bei offenem Fenster zu schlafen. Als Junge in New York hatte ich mein Zimmer auf dem teilweise ausgebauten Dachboden, ohne Isolation, nach Süden gelegen und mit nur einem Fenster. Es war wie in einer Sauna. Und natürlich kühlte es bei der hohen Luftfeuchtigkeit nie vernünftig ab, nicht einmal mitten in der Nacht. Ein Gewitter, das ab und zu durchzog, war ein Segen, die Temperatur sank drastisch, ein Phänomen, das ich kurz in der Geschichte Tod in Kitchawank aufgriff.
     Ich vermisse das. Was ich nicht vermisse, ist die Schwüle und die Mücken, Vertreter des Stammes der Arthropoden, die hier auf Grund des extremen Wassermangels so gut wie verschwunden sind, denn sie brauchen das Wasser, damit sie Eier legen können und die Brut schlüpfen kann. Ich bin am überlegen: Soll ich eine Kampagne zur Rettung der Mücken gründen?
     Also paddle ich in meinem Kajak, schwimme im saukalten Wasser ein- oder zweimal die Woche, zittere mit einem Becher Sake in der Hand und einer Poké Bowl, und kümmere mich um die Maßnahmen, die dieses Haus vor dem Einsturz bewahren sollen, lese, schreibe und lasse mich durch einen goldenen (wenn auch durch Dürre und Sorge getrübten) sommerlichen Dunst treiben. Die dritte der neuen Kurzgeschichten ist fertig, sie heißt The End Is Only A Beginning, eine weitere F.X. Riley-Geschichte, über einen Autor wie mich und doch nicht wie mich; vielleicht wird irgendwann in der Zukunft ein Buch daraus (ich liebe Updikes Bech-Bücher). Übrigens habe ich es während des größten Teils meines schreibenden Lebens verabscheut, Autoren als Protagonisten zu nehmen, weil das alle Schriftsteller machen, beflügelt von dem Grundsatz: »Schreib‘ über das, was du kennst.« Ich war jedoch immer der Meinung, wie ich auch schon an anderer Stelle gesagt habe: »Schreib‘ über das, was du nicht kennst, und du entdeckst vielleicht etwas.« Natürlich habe ich zweihundert Kurzgeschichten über jedes erdenkliche Thema und auch auf viele Arten geschrieben, und dazu noch achtzehn Romane, und schließlich hab‘ ich gedacht, warum sollte ich Vorurteile gegenüber Schriftstellern haben? So kam Riley zustande. Jedenfalls macht es mir großen Spaß, ihm Leid zuzufügen – und einige der Themen zu verwenden, die ich beim Schreiben von Blue Skies auf Eis gelegt hatte. Im Augenblick ist der Himmel hier grau, genau wie ich es mag, und aus den Lautsprechern tönt Etta James mit I’d Rather Go Blind.
     Genießt den Sommer, Freunde.


Im Original erschien der Text am 28. Juli 2022 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.