Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Sabine Anders

 

Im Laufe des letzten Monats habe ich sehr viel über die Freuden (und Probleme) des wiederholten Lesens nachgedacht. Was war der Anlass dazu? Ein genauer Blick auf die dicken Korrekturabzüge von T.C. Boyle Stories II, die ich auf etwas archäologische Weise noch einmal lese und dabei Sätze, Stilmittel, Figuren und sogar Handlungsstränge ausgrabe, mit denen ich einmal vertraut war, die ich aber all diese Jahre begraben sein ließ. Die früheren Geschichten (diejenigen, die bis auf das letzte Jahrhundert zurückgehen), die im ersten Teil erscheinen, Schluss mit cool, scheinen mir jetzt fast neu, da ich in umherschweifende und halbgeformte Erinnerungen eintauche, wer und wo ich war, als ich sie geschrieben habe. So war es auch mit vielen der Geschichten in Zähne und Klauen. Ich werde Euch nicht erzählen, dass ich vor Freude weinte, obwohl ich nah dran war, aber ich war von vielen Formulierungen überrascht, ganz zu schweigen von den Emotionen, die ich so intensiv gelebt habe, als sie entstanden sind, nur um sie dann all diese Jahre zu vergessen. Friendly Skies (dt. Guten Flug) zum Beispiel, eine Geschichte über ein gewaltsames Ereignis in einem Linienflugzeug, geschrieben im Dezember 1999. Die Geschichte erschien zuerst im New Yorker, dann in Schluss mit cool, das eine Woche nach dem 11. September veröffentlicht wurde. An all das erinnerte ich mich lebhaft – ich ging noch in derselben Woche auf Tour, meine ersten Stationen waren New York und D. C., aber diese Geschichte blieb begraben. Notwendigerweise. Ich erinnere mich, dass ich in dieser Woche ernste Geschichten gelesen habe, Geschichten über Gewalt und ihre Auswirkungen auf uns. Killing Babies (dt. Babymörder) war eine davon.
     Was meine eigene wiederholte Lektüre von Büchern angeht, die mir viel bedeutet haben, so sollte ich sagen, dass ich alle paar Jahre The Stories of John Cheever wieder lese und noch öfter Steinbeck, Faulkner und Hemingway, und ich verliere mich liebend gern in den verschiedenen Hemingway-Biografien, genauso in A Moveable Feast. Lucky Jim (immer noch das witzigste Buch überhaupt, obwohl William Kotzwinkles The Fan Man nah an es herankommt) ist noch eins. Was noch? Wen noch? Coover, Garcia-Marquez, Calvino, Nabokov (und hundert andere). Wiederholte Lektüre im Flugzeug? Brian Moores Blackrobe, DeLillos White Noise, Bob Stones Dog Soldiers. Weil ich an der Uni unterrichte, habe ich bestimmte Bücher sehr oft wiedergelesen, unverzichtbare Texte wie Flannery O’Connors Collected Stories, Jamaica Kincaids Lucy, Kazuo Ishiguros The Remains of the Day, Denis Johnsons Fiskadoro, Richard Fords Rock Springs und viele andere. Und natürlich habe ich auch die Erfahrung gemacht, dass ich ein altes Lieblingsbuch in die Hand nehme und feststelle, dass es mir einfach nicht mehr taugt (ich werde keine Namen erwähnen, aber Catch-22 fällt mir spontan ein).
    &nbspAuf jeden Fall ist es ein ganz anderes Abenteuer, seine eigenen Texte noch einmal zu lesen, und ich habe das – weitgehend eine Freude – Anfang dieses Frühjahr erlebt und nebenbei Tippfehler gefunden. Gestern habe ich meinem Lektor schließlich meine Korrekturen zurückgeschickt, nachdem ich am Sonntag von meiner Alma Mater, SUNY Potsdam, nach Hause zurückgekehrt war. Das Foto anbei, aufgenommen von meinem alten Freund und Klassenkameraden Ted Holynski, zeigt, wie ich Freitagabend nach der Lesung Bücher signiere (ich habe ihnen Back in the Eocene (dt. Zurück ins Eozän) vorgelesen, aus dem ersten Band der gesammelten T.C. Boyle Stories, und Chicxulub aus <em>Zähne und Klauen, das ich in einem schneereichen Winter in einem gemieteten Haus im Wald des Sequoia Nationalparks geschrieben habe, ein Haus, das später zu Schaden kam, als eine Leitung einfror und zerbarst).
     Was Neuigkeiten angeht, ist im New Yorker am 15. April The Night of the Satellite erschienen und McSweeney’s hat Burning Bright, meine (neueste) Tigergeschichte in der Ausgabe #43 veröffentlich, die gerade erschienen ist. Wir erwarten weiterhin auf neue Geschichten in Harper’s und im Playboy, und die letzte der neuen Geschichten – die letzte Geschichte, bis der Roman zu Ende ist – wird Ende des Jahres in der Kenyon Review erscheinen. Sie heißt Slate Mountain. Zu guter Letzt: Es ist mir bewusst, dass das Forum (Message Board von tcboyle.com) zusammengebrochen ist, während ich weg war, und ich lasse das meine Technikabteilung bereits untersuchen. Bleibt dran!
     Ciao einstweilen.


Im Original erschien der Text am 30. April 2013 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Sabine Anders. Foto: Ted Holynski.