Von T. Coraghessan Boyle
Deutsch von Ulrich Tepelmann
Wenn ich Euch früher in diesem Monat ein Lied vom Kampf auf Leben und Tod gesungen habe (ich, das Kanu, unter der Brücke eingeklemmt wie in einem Grab, die einströmende Flut), bringe ich Euch heute einen Text voller Ruhe und Frieden. Ich bin gerade vom Berg zurückgekommen, wo ich eine lange ruhige Woche mit Lesen und Kontemplation verbracht habe, ganz ohne Stress. Die letzte Runde des Geschichtenschreibens ist vorbei, die fünf neuen Erzählungen sind jetzt fertig und verstaut, und ich habe meine Arbeitstage mit Lesen und Anfertigen von Notizen verbracht, mit Blick auf den nächsten Roman. Nach der Arbeit bin ich hinaus in den Wald gegangen, wo das tiefe Gras einer Bergwiese meine schlanke Gestalt willkommen hieß, eine halbe Meile von meinem Haus entfernt, wo ich mich ausstreckte, um ein wenig zu lesen und zu meditieren, oder auch in der Nähe eines meiner Lieblingsbäche, die aufgrund der anhaltenden Trockenheit auf einen traurigen Rest zusammengeschmolzen sind. Die ganze Woche ist nichts passiert. Keine Notfälle. Keine Telefonanrufe. Kein Druck, irgendwo zu sein. Abends, nach dem Essen, noch mehr lesen oder einen Film ansehen, den ich mir aus der Bibliothek ausgeliehen habe (ja, eine DVD, denn auf dem Berg gibt es kein Internet, und die Technik hinkt gnädigerweise hinterher). Dann in völliger Dunkelheit ein Spaziergang mit dem Hund um den ehemaligen See, wobei unsere Schritte nur vom fernen Schimmer lebender und toter Sterne beleuchtet wurden, und dann ab ins Bett.
Das war’s also. Das sind die Neuigkeiten. Euer Autor hatte endlich die Gelegenheit sich zu entspannen und freut sich darauf, dies bald wieder zu tun. Aber jetzt, wo ich zu Hause bin und E-Mails bearbeite und auch die Schneckenpost durchpflüge (Rechnungen, Werbung, Drohungen) kann ich Euch konkretere Neuigkeiten über meine Aktivitäten abseits des Berges mitteilen, wo das Thermometer neulich morgens knackige drei Grad Celsius anzeigte. Ich habe erfahren, dass ich, zusätzlich zu meinem geplanten Auftritt in Newport News (Virginia) am 9. Oktober um 19 Uhr für das Virginia Peninsula Literary Consortium in der David Studentenvereinigung der Chistopher University, außerdem in New York für Selected Shorts auftreten werde, wo ein Abend zur Feier der Anthologie Best American Short Stories 2014, herausgegeben von Jennifer Egan, stattfinden wird.
Da wir gerade beim Thema Geschichten sind, möchte ich erwähnen, dass die erste der neuen Geschichten, wie viele inzwischen wissen werden, in der Ausgabe des New Yorker vom 17. März erschienen ist (Wiedererleben), und dass die zweite in dieser Reihe, Diebstahl und andere Sachen, in einer kommenden Ausgabe des Playboy veröffentlicht wird. Die fünfte – Die argentinische Ameise – wird im Dezember in McSweeney’s erscheinen. Die restlichen beiden – Der Fünf-Pfund-Burrito und Was Wasser wert ist, weißt du (erst, wenn du keins mehr hast) – sind noch auf der Suche nach ihrer endgültigen Bestimmung.
Doch ein Wort noch zur vergangenen Woche: Da war ich, am Rande dieser langen Wiese, der Hund schlief neben mir, der Wind rüttelte in den Bäumen, und hielt ein Nickerchen im hohen Gras. Und wenn ich kurz aufblickte, aufmerksam geworden durch eine Bewegung fünfhundert Meter entfernt am Waldrand, kam mir das wie ein Traum vor. Ein Liebespaar mittleren Alters, sie im weißen Kleid, er mit Sombrero, umarmten sich dort, umarmt von der Natur, und Faune und Nymphen tollten um sie herum. Dagegen ist nichts einzuwenden. Und so schloss ich die Augen und schlief weiter.
P.S. Wie das beigefügte Bild zeigt, schwimme ich dieses Jahr nicht im See. Ich stehe an einer Stelle, wo das Wasser normalerweise bis über meinen Kopf gehen müsste.
P.P.S. In dem Moment, in dem ich dies schreibe, weckt eine Bewegung im Wald meine Aufmerksamkeit, keine dreißig Meter von meinem Schreibtisch entfernt. Ein Habicht sitzt auf einem Akazienzweig und macht Mittagspause (es ist kurz nach zwölf). Ein Neigen des Kopfes, ein roter Klumpen Fleisch, ein grimmiger Blick in die Runde, dass auch niemand es wagen sollte … Ich kann nicht genau erkennen, welchem Wesen er/sie das Leben genommen hat – hier etwas Weißes, etwas Graues, vielleicht eines der Kaninchen, die ich hier abends immer wieder wie verrückt herumhuschen gesehen habe. Ein Häschen also, das den nächsten Regen nicht mehr erleben wird.
Im Original erschien der Text am 30. Juni 2014 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.