Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Ulrich Tepelmann

 

Neulich habe ich es runter bis an den Strand geschafft, wo ich mich durch den lockeren Sand kämpfen und etwas Treibholz für den Kamin sammeln konnte, als Vorbereitung auf die kalten Abende und Nächte, die da kommen werden. Warum ich das erwähne? Weil ich jetzt zum ersten Mal seit fast zwei Monaten wieder ohne Stützverband mobil und in der Lage bin, ein paar Stufen zu erklimmen, ohne mich wie ein Schimpanse bewegen zu müssen. Ich musste jedoch meine zweiwöchige Reise nach New York streichen, da ich noch nicht soweit bin, mich Meile um Meile durch Flughafenkorridore zu schleppen und in einem Sitz von der Größe eines Schuhkartons zu sitzen, mit zusammengefalteten Beinen und bis unters Kinn hochgezogenen Knien. Frau B. wird, in Begleitung ihrer Schwester, ohne mich verreisen. Währendessen mache ich das, was ich immer mache – ich verbringe meine Tage auf die ewig gleiche Weise: über meiner Tastatur träumen, in natürlicher und auch in unnatürlicher Umgebung umherhumpeln (ich hoffe, eine Pilgerwanderung zu meiner Lieblingsbar unternehmen zu können, ein Fußmarsch von einer Meile, kein Gedanke an die Meile für den Rückweg, meistens krieche ich sowieso nur).
     Wo wir jetzt diese kleine Sache überstanden haben, hier ein paar Neuigkeiten aus dem nicht-orthopädischen Bereich. Erstens hatte ich Gelegenheit zu beobachten, dass die Feiertage schon begonnen haben, während die Erde wirbelnd um die Sonne kreist, ob wir es bemerken oder nicht. Thanksgiving, das große Fest für Fleischfresser (siehe meine Geschichte Fleischeslust) hat dieses Jahr sehr viel Spaß gemacht, da ich es nicht hier, hinter einem Berg verkrusteter Küchengeräte, verklebter Teller und eingebrannter Pfannen verbracht habe, und ich nicht Soße, Blut und Spucke von der Wand wischen musste; sondern wir waren bei meiner Schwägerin, wo alles, was man von mir erwartete, das Einschenken von Sekt war, und das Herumtollen auf dem Fußboden mit Kindern und Hunden. Zweitens habe ich meinen Frieden mit der Tatsache gemacht, dass es hier zu meinen Lebzeiten nie mehr regnen wird (der Wetterbericht sagt, es könne doch ein kleines bisschen Regen geben, so um Ende Dezember 2030 herum), und das hat mir erlaubt, das Licht willkommen zu heißen und der Sonne ihre unbarmherzige Grausamkeit wenn schon nicht zu vergeben, so doch sie zu tolerieren. Wir haben Spätherbst. Die Temperatur liegt morgens im einstelligen Celsiusbereich, und abends sitze ich am Kaminfeuer, höre Musik und lese, und wenn ich meine Tage in alten Klamotten frierend am Schreibtisch verbringe, dann ist das nur das, was man erwartet. Charles Dickens würde das verstehen. Nennt es den Geist der Feiertage.
     Was die Veröffentlichungen angeht: Impedimenta hat Una libertad luminosa (Das Licht) in der Übersetzung von Jon Bilbao herausgebracht (mit dem Wahnsinns-Umschlagbild), und Grasset hat Histoires de couples veröffentlicht (sieben der zwölf Geschichten aus The Relive Box/Sind wir nicht Menschen) in der Übersetzung von Bernard Turle. Wie ich letzten Monat schon erwähnt habe wird McSweeney’s bald Dog Lab bringen, eine Geschichte aus der Zeit, nachdem ich Sprich mit mir fertig geschrieben hatte, womit sie das eine oder andere Thema gemeinsam hat, und Esquire wird meine Geschichte über die Anfänge der Pandemie, The Thirteenth Day, zu Anfang des nächsten Jahres veröffentlichen. Mittlerweile ist der Roman-in-Arbeit bei Seite 260 und strebt in den nächsten paar Monaten der Vollendung entgegen.
     Sorgt das Dasein als Krüppel und das An-den-Schreibtisch-gefesselt-sein insofern für eine Art fieberhafter Produktivität, als diese die Langeweile und die Verzweiflung vertreibt? Ich schätze, das ist so, aber dann wiederum, ist das nicht in jedem Fall die Aufgabe von Kunst, auch zu Zeiten, in denen ich voll beweglich und stark bin? Und mal ehrlich, was soll ich denn sonst machen? Für ein politisches Amt kandidieren? Für die Meisterschaft im Eiskunstlaufen trainieren? Einen Bonbonladen aufmachen? Nee. Ich sitze einfach weiter hier. Und schreibe.
     Ciao erstmal.


Im Original erschien der Text am 30. November 2021 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.