Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Sabine Anders

 

Beginnen wir den Blogeintrag in diesem Monat mit dem faszinierenden Gedanken menschlicher Langstreckenreisen, ein Konzept, das uns heute so fremd ist, dass es ein Oxymoron scheint. Schon oft habe ich mich hier über die Erniedrigung, die Langeweile und den schieren Horror von Flugreisen beschwert, sowohl im In- als auch im Ausland. Von der Westküste aus nach Europa zu fliegen ist so zermürbend langweilig und lästig (ich spreche davon, gefangen zu sein, wie eine Ratte im Käfig), dass man anfängt zu hoffen, das Flugzeug stürzt ab, nur um es hinter sich zu bringen. Für die Flugindustrie ist der Gedanke des Kundenservices, ganz zu schweigen von Annehmlichkeiten, ein kranker Witz. Sie haben ein absolutes Monopol. Wenn es dir nicht passt, kannst du zu Fuß nach Cleveland gehen. Natürlich gibt es Alternativen, zum Beispiel an eine überschüssige Scud-Rakete geschnallt lediglich in Minuten den Atlantik zu überqueren, aber das ist nicht gut für die Frisur und auch nicht so toll für die Zähne, wenn man bedenkt, was man auf dem Weg nach unten alles mitnimmt (siehe Der Fliegenmensch zum Vergleich). Und dann gibt es den Zug, auf den ich zu sprechen kommen will, seit der erste Satz heraussprudelte.
     Was ich sagen will, ist, dass ich vor drei Wochen die Amtrak Starlighter Rundreise von Santa Barbara nach San Jose gemacht habe, um zu meiner Lesung in Stanford zu kommen, und zum ersten Mal in einer langen, geizigen Schar von Jahren die Art zu reisen genossen habe. Mein Sohn Spencer, der oft mit genau diesem Zug in die Bay Area fährt, um seine Freundin zu besuchen, hat ein Zimmerabteil für mich gebucht, sodass ich meinen eigenen, privaten Raum hatte (mit einer Tür zum Zusperren und Vorhängen zum Zuziehen), der es mir ermöglichte, auf dem Weg dorthin zu arbeiten. Und das habe ich getan. Ich habe auf meinen Laptop eingehackt, während ich aus dem Fenster schaute, auf den mächtigen Pazifik bis ganz nach Point Conception und dann weiter auf die goldenen Hügel des Binnenlands, während wir ins Landesinnere fuhren. Ich habe Truthähne, Hirsche, Füchse gesehen. Versteckte Ranches. Felsige Ausläufer. Unzählige Schätze der Natur. Als ich schließlich mit der Arbeit fertig war, ging ich für eine Erfrischung in den Clubwagen und nahm zwei von diesen kleinen Flugzeugflaschen Rum mit in mein Abteil, um sie vernünftig zu trinken, während die Welt vorbeizog. Na gut, der Zug ist langsam. Auf dem Rückweg fuhren wir eine Zeitlang parallel zur 101 und die Autos schossen an uns vorbei, aber was macht das schon? Es gab kein Abtasten, keine Röntgenmaschinen, kein gehütet und gemahnt werden und die strikte Beschränkung auf deine 30 Zentimeter Fläche zur Seite hin, während der Sitz neben dir stoisch von einem der Teilnehmer an der Sumo-Konferenz besetzt bleibt. Nichts davon. Nur Freude im Überfluss.
     Die Lesung? Sie war für die Lane Lecture Reihe und ich wurde schön und aufregend von Toby Wolff vorgestellt, einem meiner liebsten amerikanischen Schriftsteller, dessen jedes veröffentlichte Wort ich all diese Jahre hungrig verschlungen habe. Das war also ein Vergnügen. Das Publikum? Zahlreich, aufnahmefähig, bellend vor Lachen und ungehemmter Freude. Das war auch ein Vergnügen. Am Tag darauf habe ich mich mit den Studenten getroffen, darunter die Stegner Fellows (zwei von ihnen waren früher Studenten von mir an der USC, Juliana Wang und Anthony Marra, dessen erster Roman gerade unter viel Beifall erschienen ist), habe gegessen, gebechert und bin am nächsten Tag wieder in den Zug gestiegen. Ich habe die Füße hochgelegt, meinen Laptop hervorgeholt und die Rumfrau im Clubwagen konsultiert. Und dann war ich zu Hause. Mirabile dictu!
     Unterwegs habe ich an dem neuen Roman gearbeitet, Hart auf hart, der jetzt hundert Seiten umfasst, ein bisschen weniger als ein Drittel von dem Umfang, mit dem ich für das fertige Manuskript rechne, also läuft das eigentlich und glücklicherweise gut. Außerdem habe ich einen fünfzehnminütigen Kommentar für die BBC geschrieben, über die amerikanische Sommerküche (meine Wahl: die Grillparty), den ich hier bei Sound Design in Santa Barbara aufgenommen habe, in dem Studio, in dem ich vor Kurzem The Night of the Satellite für den New Yorker aufgenommen habe und wo ich irgendwann die Geschichten des letzten (und völlig neuen) Teils der T.C. Boyle Stories II für Blackstone aufnehmen werde (es scheint, dass es nur diesen Band als Hörbuch geben wird wegen Vertragsstreitereien um die Hörbücher der ersten drei Teile, von denen zwei von Book on Tape herausgegeben wurden und eins von Blackstone). In der Zwischenzeit habe ich das erste von vier Vorabexemplaren des besagten Wälzers bekommen, die ziemlich hübsch aussehen, obwohl das Buch nur 918 Seiten umfasst, während die Korrekturabzüge 920 hatten. Wo sind die fehlenden Seiten geblieben? Wer weiß: Insekten müssen sie in die Finger gekriegt haben. Aber keine Angst: Es ist ein Buch, das mich stolz macht und das es irgendwann einmal zusammen mit dem ersten Band als Set in einer Schachtel geben wird, worauf ich noch stolzer sein werde.
     Und jetzt, was den wirklichen Kern dieser Ausgabe Eures freundlichen und ehrenwerten Nachbarschaftsblogs anbelangt, der jetzt in seinem vierzehnten Jahr ist – ich meine das alljährliche Chilikochen in der Ponderosa Lodge auf meinem Berg in der Sierra. Ich wurde von der Besitzerin, Mary Brewer, wieder gebeten, als einer der Richter zu fungieren – wirklich eine große Ehre – aber ich musste leider absagen, weil ich den Fortschritt des Romans nicht gefährden möchte, und einer der Richter zu sein, beinhaltet unter anderem, dass man vor Mittag Tequila in sich hineinschüttet. Nächstes Jahr wieder. Nächstes Jahr werde ich um halb elf Uhr morgens dort draußen sein und in Tequila und einer Badewanne voll Chili baden, das verspreche ich.
     Wir sehen uns dort.


Im Original erschien der Text am 31. Mai 2013 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Sabine Anders.