Von T. Coraghessan Boyle
Deutsch von Ulrich Tepelmann
Auf diesem Foto sieht man vier unbeugsame Fischer vom Hudson River, ihre Haltung erinnert nicht wenig an Huck Finn und Tom Sawyer. Es wurde im Frühjahr 1973 aufgenommen, in Garrison Landing im Staat New York, nach einer Tour mit Schleppnetzen auf der Jagd nach dem mächtigen und sehr scheuen Felsenbarsch (Morone saxatilis), der damals in all seiner laichenden Pracht und Herrlichkeit war. Ich befinde mich exakt im Zentrum des Bildes. Zu meiner Rechten steht mein Boss und Leiter der Expedition Garrett McCarey, rechts von ihm ist Davey McGahee, und zu meiner Linken steht John Cutten.
Aber warum verfolgten wir Morone saxatilis, einen Fisch, der nie jemandem auch nur den kleinsten Schaden zugefügt hatte, und warum hängt dieses Bild an der Wand genau über dem Kopierer in meinem Arbeitszimmer, so viele Jahre später?
Ich hatte gerade mein erstes Jahr als Magister und Doktorand im Programm für kreatives Schreiben an der Universität von Iowa hinter mir, ich hatte meine Sache ganz gut gemacht, hatte ein paar Kurzgeschichten geschrieben und ein Stipendium für das darauffolgende Jahr ergattert. Aber ich fühlte mich erschöpft, war blass, mein Rücken krumm, weil ich mich zu lange über meinen zerkratzten und schiefen Schreibtisch aus imitierter Eiche gebeugt hatte (für 2 Dollar auf einem Flohmarkt in Iowa City gekauft), mein Hirn vollgestopft mit Literatur, und mein resolutes hinterwäldlerisches Ich, das in der Lage war, wie Paul Bunyan ganze Eisenbahnschwellen zu spalten, war auf die Größe eines Flohs geschrumpft, der einen Floh befallen hat, der am Barthaar einer Maus hängt. Es war einfach winzig, dieses Ich, dieser Spirit. Moribund. Nahezu erloschen. Und so eilte ich zurück zu den Gefilden meiner Kindheit, um mir einen Ferienjob zu suchen, der diesen Geist wieder in mir erwecken könnte.
Zuerst arbeitete ich als Barmann, so wie in dem Jahr, bevor ich nach Iowa aufgebrochen war, und ein paar Tage lang schenkte ich Aquavit und Chartreuse aus, im Neonlicht der Nacht, und wurde immer noch blasser – um nicht zu sagen betrunkener. Und ruheloser. Und dann erfuhr ich, dass zwei meiner alten Freunde und Kumpane vergangener sündiger Zeiten, die oben erwähnten McCarey und McGahee, auf dem Fluss arbeiteten. Ah, der Fluss! Der mächtige, überschäumende, Manhatten umspülende, von klarem Wasser wie von Abwasser gespeiste Hudson, der Cole und Irving inspiriert hat, und auch zwei der letzten und überaus liebenswürdigen gewerblichen Fischer, die damals noch an seinen Ufern ausgeharrt hatten, Ace Lent und Charlie White.
Ihre Aufgabe? Den Fluss mit den Gezeiten auf und ab zu schippern und dicklippige Barsche, schwanger mit Eiern und voll von Spermien, in ihren Netzen zu fangen, in der Absicht, diese beiden Elemente in einem Eimer zusammenzubringen, und dann ab ins Labor, damit aus dem Laich Nachwuchs schlüpfen konnte, unterstützt vom Energieunternehmen Con Edison (aus schlechtem Gewissen den Fischen gegenüber, die sie mit ihren Einlaufrechen am Atomkraftwerk Indian Point getötet hatten) und wissenschaftlich begleitet von der New York University. Was brauchten die Fischer? Zwei weitere Hilfskräfte zum Ausbringen und Einholen der Netze. Ich wurde ein ästuarischer Gewässerbiologe. Oder so ähnlich. Vorübergehend.
Am meisten liebte ich bei dieser Arbeit die reine körperliche Anstrengung, verbunden mit der Nähe zur Natur. Es gibt kaum etwas Aufregenderes als das Zuziehen eines Netzes, wenn das Wasser aufgewühlt wird von den sonnenbeschienenen spitzen Fischmäulern und den scharfen Rückenflossen eines Netzes voller Fische, und sich dann mitten hinein zu stürzen und 30- oder 40-Pfund-Exemplare an den Kiemen zu schnappen … natürlich nur, wenn man piscaphil ist. Wenn nicht, dann sollte man sich einen Leinenkescher kaufen und Schmetterlinge fangen.
Aber ich liebte es. Es tat mir gut. Es härtete mich ab, meine Haut bräunte sich, die Haut meiner Hände schälte sich bis aufs Fleisch von den durchsichtigen Sandpapier-Zähnen der Barsche und den Kiemen der Karpfen, alles von Schuppen und Schleim verkrustet, die Stiefel voller Fischmilch. Und wenn ich – wenn wir – abends in eine Bar kamen, duftend nach den Mühen des Tages, waren wir eine Macht, mit der man rechnen musste – und das nicht nur in olfaktorischer Hinsicht. Wir waren so entspannt wie eine abgelaufene Uhrfeder, uns taten die Schultern und die Arme auf eine Weise weh, die schon wieder angenehm war, und wenn wir unsere Biere mit unseren schwieligen Fischerhänden ergriffen, wussten wir, dass wir sie uns verdient hatten.
Bei dieser Arbeit konnten wir auf jegliche Intellektualität verzichten. Wir waren die Mannschaft, die Netzeschlepper, wir kämpften mit Karpfen (und die sind riesig im Hudson, bis zu 50 oder 60 Pfund), und man erwartete nicht von uns, dass wir mit den Höhergestellten der ganzen Unternehmung sprachen. Nein, das war das Feld der unzähligen blassgesichtigen, krummrückigen, Formalin atmenden Meeresbiologen und Doktoranden, die uns umringten, wenn wir von unserer jeweiligen Expedition zurückkamen, mit dem überquellenden Eimer, dem flüssigen Gold, den Eiern und den Spermien, diesen Embryonen im Embryonalstadium.
Ich habe diese sich windenden Barsche wie ein fischiger Liebhaber in meinen Armen gehalten, ich habe ihre Spermien und ihre Eier aus den Geschlechtsöffnungen gemolken, und es war eine gewaltige, erfüllende – um nicht zu sagen sinnliche – Erfahrung. Ich werde sie nie vergessen. Nicht, solange ich mit krummem Buckel und einem Gesicht so weiß wie Buttermilch an meinem Kopierer stehe, der Spirit in mir abermals geschrumpft, und meine Schultern sich danach sehnen, mal wieder an einem herrlichen Tau und an einem fetten Schleppnetz zu ziehen, einen Fisch zu schnappen, eingepackt in seinem Schleim wie ein Geschenk, wie eine Hoffnung, wie ein unablässig nagendes Fragment des großen Mysteriums, das sein glänzendes Maul dem meinen entgegenstreckt.
Es war der beste Job, den ich je hatte.
Der Text erschien im September 1992 im Life Magazine unter dem Titel In Search of the Striped Bass. © T. Coraghessan Boyle. Verwendung des Textes bei www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T. Coraghessan Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann. Foto von Rob Jordan, Garrison NY, 1973. Von links nach rechts: Davey McGahee, Garrett McCarey, T.C. Boyle, John Cutten. Verwendung des Fotos mit freundlicher Genehmigung von T. Coraghessan Boyle.
Mr. Boyle hat(te) eine Begabung, mit Worten umzugehen, die ins Mark treffen. Las eben auch die Geschichte mit „der Leber“, die einen verstört und in Tränen aufgelöst zurücklässt.
Einfach der Beste!