Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Sabine Anders

 

Ich war immer schon mit einem glücklichen Verdauungstrakt und einem unvoreingenommenen Gaumen gesegnet – ich bin der einzige Mensch in der Geschichte, der die Schulmahlzeiten tatsächlich mochte und jeden Tag seinen Teller leer aß – aber ich muss sagen, dass die Küche zu Hause manchmal grenzwertig war. Meine beiden Eltern arbeiteten bis spät abends und meine Mutter nahm alleine die Verantwortung und die Herausforderung auf sich, unsere vierköpfige Familie sieben Tage die Woche zu ernähren. Es soll genügen zu sagen, dass sie nicht allzu viel Zeit hatte, zu experimentieren oder auch nur über eine Mahlzeit nachzudenken, und der Effektivität halber gab es an jedem Wochentag ein bestimmtes Gericht. Am Freitag war es Fisch (gefrorener Kabeljau, in der Pfanne gebraten mit Salz und Pfeffer und in seiner eigenen Grundlage aus Säften), am Samstag Burger, Sonntag Braten, Montag die Reste vom Braten, Dienstag Spagetti, Mittwoch Auflauf und Donnerstag die gefürchtete und seelenvernichtende Leber mit Zwiebeln (oder, was genauso schlimm war, Steak mit Zwiebeln).
     Wir hatten kein Geld. Wir gingen nie essen. Zwei- oder dreimal im Jahr gab es Pizza und manchmal in Wachspapier gewickelte Burger. Ich mochte den Nudelsalat mit Thunfisch von meiner Mutter, getränkt mit Miracle Whip und großen, scharfen Zwiebelstückchen, ich mochte die Sommernächte, an denen es Hot Dogs, Burger und Hähnchen vom Grill gab, und die seltenen Anlässe, wenn mein Vater seinen irischen Eintopf oder gepökeltes Rindfleisch mit Kohl kochte, die waren auch in Ordnung. Sonntag nach der Kirche gab es einen runden Laib Roggenbrot, noch warm aus der Bäckerei, der mit Zwiebeln und dicken Scheiben Cheddar-Käse gegessen wurde, und es gab immer, zu jeder Tages- und Nachtzeit, ein mit Ketchup vollgeschmiertes Schinkensandwich. Wir waren nicht so für Nationalgerichte zu haben: Pizza und Spagetti waren so ziemlich das Höchste. Es gab chinesisches Essen in einer Packung vom Supermarkt, Chung-King mit seinen toten Fäden dehydrierter Nudeln und kleine Dosen Bambussprossen, und als Kochsendungen im Fernsehen in Mode kamen, schienen sie uns wahrhaft exotisch (ah, wie allein die Erwähnung eines Salisbury Steaks die Erinnerung daran wachruft, wie die Gabel in die letzten Winkel vorstößt, um das Metallblech leer zu kratzen).
     Und doch gab es die wöchentlichen Mahlzeiten, jede Woche dasselbe, die Tage durchblätternd, bis wir Donnerstag rutschend zum Stehen kamen. Ich erinnere mich an ein Halloween, das auf einen dieser jämmerlichen Donnerstage fiel, die Dunkelheit war über das Land hereingebrochen, kostümierte Kinder klingelten an der Tür, und meine Schwester und ich waren am Tisch gefangen, bis wir unser Essen zu uns genommen hatten. Es bestand aus: Kalbsleber, in der Pfanne verbrannt, bis sie durch und durch weiß war und so formbar wie Holz, versunken in einer fettigen Pampe aus gebratenen Zwiebeln und als Beilage Kartoffeln, in der Schale gekocht und serviert, ohne Soße, und die unvermeidliche Dosis Wachsbohnen aus der Dose. Begleitet natürlich von Milch, die aufrecht und weiß und zu dem Zeitpunkt lauwarm in dem großen Viertelliter-Glas stand.
     Ich schnitt, ich kaute, es klingelte an der Tür. Der Deal war: alles aufessen und frei sein, im Kostüm durch die dunklen Straßen zu streifen und sich mit den Süßigkeiten vollzustopfen, die meine manische Hyperaktivität am Laufen hielten, bis eine späte, unergründliche Stunde tief in der Nacht schlug – bis neun, mindestens bis neun, vielleicht auch bis zehn. Also schnitt ich. Und ich kaute. Aber diese Mahlzeit – diese Leber mit Zwiebeln, diese Kartoffelschalen, diese faserigen Wachsbohnen – waren in dem Labor eines verrückten Teufels entstanden mit dem sadomasochistischen Zweck, die kleinen Knabberzähne von Kindern zu schlagen und ihre Lebensfreude zu zerstören, ihr Lächeln und ihr Gebiss und ihr Hoffen und Streben nach einer besseren Welt. Lasst mich Euch sagen: das Kauen war grimmig. Und diese Milch. Oh, diese Milch. Ich wünschte, sie könnte als Schmiermittel fungieren, aber nein, sie war zu warm, zu übel, zu laktosehaltig und zu hässlich. Ich schnitt. Ich kaute. Ich kaute. Ich kaute.
     Vielleicht würde ich immer noch daran kauen, wenn nicht ein Meteorit im Hof gelandet wäre und das Haus abgebrannt hätte, während Nazi-Sturmtruppen im Stechschritt durch das Wohnzimmer marschierten und die roten Kommunisten die Treppen von meinem Zimmer herunter stürmten, Gewehre feuernd, und dem erbärmlichen Leben meiner Eltern ein Ende setzten, während sie mich, meine Schwester und den Hund verschonten. Genau zur rechten Zeit, damit ich in die Maske schlüpfen, die extra-starke Supermarkttasche an mich nehmen und in die Nacht aufbrechen konnte, um etwas Richtiges zum Essen zu ergattern.


© T. Coraghessan Boyle. Verwendung des Textes bei www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T. Coraghessan Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Sabine Anders. Das Foto zeigt einen Ausschnitt der Menükarte für das Fest-Dinner zur Vergabe des Jonathan-Swift-Preises an T.C. Boyle in Zürich 2017.