Von Fabian Neidhardt

 

T.C. Boyle wird dieses Jahr 69 und ich habe ihn zwar schon im Februar in Stuttgart gesehen, aber wer weiß, wie lange er noch Lesungen machen wird? Also bin ich gestern nach Esslingen auf die LesART, einem eigentlich eher kleinerem Literaturfestival, welches durch glückliche Umstände dazu kommt, Boyle zu Besuch zu haben. Zusammen mit knapp 1000 weiteren komme ich also ins NeckarForum, einer riesigen bestuhlten Halle. Ich komme kurz vor Veranstaltungsbeginn und bin so frech, mir den letzten freien Platz in der dritten Reihe zu nehmen. Zwischen der Sanitäterin und dem einen, der aussieht, als ob er beschlossen hat, heute Abend keinen Spaß zu haben. Diese Leute finde ich auf jeder Veranstaltung.
     Aber wir reden von T.C. Boyle, der tatsächlich auch diesen Mann zum Lachen bringt. Boyle macht sein Ding. Vor vielen Jahren sagte er mal, dass Lesungen wie Konzerte sein sollten, sie müssen unterhalten und Spaß machen. Genau das macht er bei seinen Lesungen. Natürlich wieder in roten Chucks und schwarzem Anzug und geilen Antworten auf jede Frage unterhält er viel zu kurze 90 Minuten. Was mir besonders auffällt, er war wieder mit Die Terranauten da, aber er macht ein anderes Programm, liest eine andere Stelle, erzählt ein paar andere Geschichten, beispielsweise von seinem Kurzgeschichtenband The Relive Box, der gerade in den Staaten veröffentlicht wurde und von seinem Roman über Albert Hofmann und LSD, den er bereits bei seinen Auftritten im Februar erwähnte und mittlerweile beendet hat. Also keine reine Wiederholung dessen, was ich schon kenne. Guter Mann. Krasser Kopf, der extrem fit ist und sehr viele Details zur Sprache bringt, was mich immer wieder überrascht und jedes Mal eine Freude ist, ihm dabei zuzusehen. Kurz, Boyle war geil. Aber:
     Die Lesung auf Deutsch übernimmt Lea Ruckpaul, Schauspielerin am Stuttgarter Staatstheater mit einer eindrücklichen kratzigen Stimme. Sie liest den Text fehlerfrei vor. Aber sie kommt nicht in die Haltungen. Wie jemand, der gerade schalten lernt, ruckelten wir durch den Text, mal zu schnell, mal irritierend langsam. Verständlich, ja, aber nicht so, dass sie es dem Zuhörer leicht gemacht hat, mitzukommen.
     Und moderiert wurde der Abend von Günter Keil, der geübt darin ist, Lesungen zu moderieren und fürs Publikum aus dem Englischen ins Deutsche zu übersetzen. Ich kenne ihn bisher nicht, aber er scheint ein netter Kerl zu sein, der sich von Boyle nicht einschüchtern lässt. Aber Boyle ist auch nicht der Typ, der einschüchtert. Gerade mit dem Wissen um Keils Erfahrungen und Referenzen bin ich erschüttert von der Moderation und den Übersetzungen. Die Aufgabe des Moderators ist, durch den Abend zu leiten, bei einer Fremdsprache dafür zu sorgen, dass sich niemand zurückgelassen fühlt und im Auftrag des Publikums alle Fragen zu stellen, die sich das Publikum stellen könnte.
     Gestern aber schafft Keil eben das nicht. Viel zu oft greift Boyle ein und lenkt das Gespräch selbst in die Richtung, in die es gehen sollte. So erzählt er beispielsweise, wie er kurz vor dem Abflug auf die Lesereise den neuen Roman beendet hat, Keil übersetzt und stellt eine vollkommen andere Frage. Woraufhin Boyle sagt: »Das Publikum fragt sich wahrscheinlich, worum geht’s im neuen Buch.« Alle applaudieren und Boyle erzählt also von LSD und Hofmann. Solche Korrekturen passieren ein paar Mal. Ich glaube nicht, dass T.C. Boyle irgendjemanden auflaufen lassen will, aber es gab ein paar Situationen, in denen er Keil auflaufen lassen musste, weil wichtige Dinge sonst nicht zur Sprache gekommen wären. Weiterhin hat Keil frappierende Übersetzungsfehler gemacht.
     Es ist keine leichte Aufgabe, ausschweifende Antworten und Pointen so ins Deutsche zu übertragen, dass sie funktionieren und nicht für den Großteil des Publikums redundant sind. Ich verstehe, dass man als jemand, der kein Englisch spricht, leider nicht viel mitbekommt und es auch leider nicht wirklich anders geht. Zumindest nicht ohne größeren Aufwand. Aber Keil hat gestern regelmäßig falsch übersetzt. Er spricht ihn ganz am Anfang auf die roten Chucks an und Boyle antwortet: »Frau Boyle told me to wear them, so I do, for 20 years now.« (»Frau Boyle, hat mir gesagt, ich soll sie anziehen, also tue ich das. Mittlerweile seit 20 Jahren.«) Keil übersetzt: »Er hat sich die Sachen in einem Laden ausgeliehen und trägt sie deshalb.«
     Wie gesagt, der Job des Moderators ist kein leichter und ich verstehe auch, dass man nicht immer alles so schnell verstehen und übersetzen kann, wie man sollte. Aber das blieb kein Einzelfall, sondern zog sich durch den gesamten Abend. All das wäre sogar noch okay gewesen, wenn nur mir es mit geschultem Ohr aufgefallen wäre. Aber wenn selbst die Sanitäterin, die nur halb zuhört, weil sie berufsmäßig da ist, von der Moderation und den (Fehl-)Übersetzungen irritiert ist, dann – so leid es mir tut – ist das ein Problem.
     Schade. Aber dennoch, T.C. Boyle zu sehen, lohnt sich jedes Mal. Und ich hoffe auch noch viele weitere Male.


Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von Fabian Neidhardt, mokita.de. Foto: T.C. Boyle, via Twitter @tcboyle.