Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Sabine Anders

 

Letzte Woche jeden Tag von Hähnen geweckt. Oder vielleicht war ich es, der sie weckte, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall fand ich mich in Key West und stand im dampfigen Morgengrauen auf, um durch die Straßen zu jagen und das wilde Geflügel dabei zu beobachten, wie es herumsprang und den Tagesanbruch bekrähte. Ein junges Huhn versuchte, die Straße zu überqueren (anscheinend um auf die andere Seite zu gelangen), als ein Kerl auf seinem Motorrad um die Ecke geschossen kam und den Flieh-oder-Stirb-Reflex in dem armen Geschöpf auslöste. Es strampelte, schoss auf verschwimmenden Füßen davon und hob schließlich kurz in die Luft ab, um sich vor dem dröhnenden Monster in Sicherheit zu bringen. Und so war es bei meinem kurzen Aufenthalt in den Keys, mit wilder Natur im Überfluss, während die Touristen immer mehr wurden (das soll keine Kritik sein: ich war einer von ihnen) und die Erde kleiner. Lasst mich Euch sagen, Ferien sind hart für die Leber. Und den Darm. Und das Gehirn.
     Ich habe es jedoch geschafft, die Everglades zu besichtigen, was ich schon immer tun wollte, und wenn es auch nicht so praxisnah war wie meine lange zurückliegende Kanureise in den Okefenokee-Sümpfen, war es doch sehr tierreich. Weil jetzt das Ende der Trockenzeit ist und weil die meisten Vögel noch nicht nach Norden aufgebrochen sind, sammelten sich die Kreaturen in den feuchten Gebieten, am auffälligsten in dem Kanal am Eingang des Parks. Ziemlich erstaunlich. Überall Fische, Vögel und Alligatoren. Und doch, und doch: An unserem letzten Tag waren wir in einem wenig bemerkenswerten Hotel fünf Minuten vom Flughafen in Miami entfernt untergebracht, in einem geschäftigen Teil der Stadt, Autos überall, verschwisterte Hotels schossen wie monolithische Pilze aus dem Boden, mit einem schwärenden, minderwertigen Einkaufszentrum, das gegenüber der Rückseite des Hotels an den Süßwasserkanal angrenzte. Ein wirklich gastfeindlicher Ort, alles war eingezäunt und es lag ein Hauch von Autodiebstahlgefahr in der Luft (kein Problem: ich hatte kein Auto). Aber ich konnte wirklich nicht anders, als mich durch eine Lücke im Zaun quetschen und in das Wasser des Kanals zu spähen, wo das Leben war, erstaunlich und invasiv, im Überfluss und blühend. Die Fische waren seltsam, wie aus einem Aquarium (Buntbarsche, aus Südamerika eingeführt, um andere invasive Arten zu fressen), die Vögel – Reiher, Ibisse und so weiter – gingen ihren normalen Geschäften nach, das Wasser war kristallklar und die Wasserpflanzen sahen wie Pflaumen aus. Eine hübsche Schlange einer Art, die ich nicht zuordnen konnte, bis ich sie googelte (sicher, kleiner Kopf, ein Schachbrettmuster schmückte sowohl ihren Rücken als auch ihren Bauch, auch bekannt als braune Wasserschlange). Keine Alligatoren in Sicht, aber ich bin sicher, sie waren dort, irgendwo. Was versuche ich zu sagen? Ich nehme an, nur das: Ich sollte meine Schreiblumpen an den Nagel hängen, Taucherbrille, Schnorchel und Fangnetz ausgraben und ein Fluss- (Kanal-?)Biologe werden.
     Was Savannah und das Buchfest angeht, das mich in den Süden geführt hat, das war eine Freude. Hier war eine hübsche Stadt, voller Geschichte, in der ich erst einmal zuvor gewesen bin, als ich für Der Samurai von Savannah recherchiert habe. Zusätzlich zu meinem eigenen Ding auf der Bühne durfte ich die Vorstellungen von zwei Freunden besuchen (Colm Toíbín, für seine neuen Bücher, The Testament of Mary und New Ways to Kill Your Mother, und Kevin McCarey, der Filmemacher, der für den anfänglichen Film verantwortlich ist, in dem ich vorkomme und den es hier auf der Multimediaseite gibt, der über sein erstes Buch sprach, schöne, ökologische und Seefahrt-Memoiren namens Islands on Fire), sowie auf ein paar Partys gehen und flott durch die Stadt laufen. Alles gut. Aber jetzt muss ich natürlich wieder an die Arbeit, die damit anfängt, dass ich hier das Wort an Euch richte, und wenn ich mit diesem Eintrag ein bisschen spät dran bin, liegt das daran, dass ich gerade erst zurückgekommen bin — wäre es nur ein Schaltjahr gewesen, dann hätte ich mich noch in den Februar quetschen können, aber stattdessen bin ich am letzten Tag des Monats zurückgekehrt. Traurigerweise war das dieses Jahr der achtundzwanzigste.
     Neuigkeiten? Ich habe zu meiner Freude und immensen Zufriedenheit erfahren, dass die letzte der neuen Geschichten bis auf eine, The Night of the Satellite, im New Yorker erscheinen wird. In der Zwischenzeit spielen wir noch die Möglichkeiten für das Cover von T.C. Boyle Stories II durch und ich denke, ich werde Euch vielleicht – und nur vielleicht – die Entwürfe, die in die Endausscheidung kommen, vorstellen und um Eure Meinung fragen. Wir werden sehen. Fürs Erste scheint jedoch das Foto anbei von mehr Bedeutung für meine neuesten Abenteuer als irgendein bloßes Studiofoto des Autors, der in die Kamera starrt und sich bemüht, gewichtig zu wirken.
     Lasst mich zum Abschied sagen, dass ich Euch allen rate – vor allem denjenigen unter Euch, die im Kühlschrank des mittleren Westens und Nordostens gefangen sind – ein Glas mit dunklem, karibischen Rum zu heben und all jenen tropischen, subtropischen und unwissend invasiven Tieren das Beste zu wünschen, vielleicht mit Ausnahme des dunklen Tigerpython, der die kleinen Säugetiere der Everglades so gut wie ausgerottet hat. Wartet! Trinkt noch nicht! Was wir brauchen, ist vielleicht eine Menge verlockenderer Rezepte für Python, geräuchert, frikassiert oder am Stück gebraten mit einem Waschbär im Maul. Irgendwer Interesse?


Im Original erschien der Text am 01. März 2013 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Sabine Anders.