Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Sabine Anders

 

Ich hatte vor, das Datum zu frisieren – das heißt, die News auf den 30. Juni zu datieren – nur damit ich für jeden Monat einen Blog-Eintrag habe, wie es meinen analfixierten Neigungen entspricht, aber hier bin ich und schreibe wirklich an diesem glückverheißenden Tag zu Euch, voller Stolz, ein echter Amerikaner zu sein. Wie stolz genau, das lasst mich anhand einer kleinen Geschichte vom Vatertag vor zwei Wochen illustrieren. Ich fand mich oben auf dem Berg wieder und nahm an einer kleinen Feier auf der Terrasse der Hütte teil. Eine Band war dort aufgestellt, vier Mitglieder, alte Kerle aus Porterville, die hauptsächlich Country Musik mit einem Einschlag der frühen Stones und was auch immer spielten, und es waren vielleicht dreißig Einheimische da, zwei Motorradfahrer in voller Uniform und fünf Ü-30-Leute aus Amsterdam mit einem kleinen Baby im Schlepptau. Ich dachte darüber nach, dass diese holländischen Touristen das echte Amerika zu sehen bekamen und keine Disney-Version davon, und wie toll das war: auf unserer Seite standen weiße, reaktionäre Hinterwäldler, Hank Williams und der rundlichere der zwei Biker, der sich fast eine Stunde lang in aller Stille am Ende der Terrasse übergab. Und was haben die Holländer? Staatliche Museen?
     Was den Chili-Kochwettbewerb angeht, den ich in meiner letzten Meldung hier erwähnt habe, der über das Memorial-Day-Wochenende stattfand (wie die Zeit vergeht, nicht wahr?) – das war eine Katastrophe. Als ich aufwachte, lagen über dreißig Zentimeter Schnee und den ganzen Tag heulte ein Sturm. Nur vier unerschrockene Teilnehmer waren da anstatt der rund fünfzehn, die da hätten sein sollen, und sie kochten in ihren Zelten zusammengekauert auf dem Parkplatz, während der Rest von uns sich in der sehr überfüllten Bar die Zeit vertrieb. Was die eigentliche Beurteilung angeht, so saßen wir zwei Richter draußen über die verschiedenen Proben gebeugt und einer von uns – das heißt ich – wäre an der ungeschützten Seite fast erfroren. Die Band (eine andere Gruppe, etwas jünger und darauf fixiert, Rock’n’Roll Standardsongs genauso so zu spielen, wie sie auf den CDs klingen!) hatte sich drinnen ein sicheres Plätzchen eingerichtet, und alle hatten Spaß, außer Mary, die Betreiberin der Hütte, weil die Straßen sehr schlecht befahrbar waren und das Publikum sehr viel kleiner. Es konnte zum Beispiel keiner der Biker raufkommen, die in ihren üblichen Horden und Zahlen zwei Liter Tequila getrunken und dreizehn Hotdogs pro Kopf gegessen hätten. Da habt Ihr es. Das ist es. Das ist die Zusammenfassung des glamourösen Lebens, das ich als stolzer Amerikaner auf dem Gipfel eines isolierten amerikanischen Berges im weiten rauen Westen von Amerika selbst gelebt habe.
     Dazu kommt, wie mehrere der Diskussionsteilnehmer in unserem Forum [tcboyle.com] wissen – vor allem Mr. P. und Lynnbarry –, dass ich von dem Berg herunter gesaust bin, um für die Santa Barbara Schriftstellerkonferenz in einem der Ferienorte an der Küste hier aufzutreten und dem Publikum dort zwei Tochter-Geschichten zu servieren: Zurück ins Eozän und Chicxulub. Das Publikum war betrunken, gelassen und leicht zum Lachen zu bringen und bei der ersten Geschichte wälzten sie sich in Ekstase. Die zweite hat das Blatt jedoch wirklich gewendet. Oh, das ist eine düstere und erschreckende Geschichte. Gesichter wurden weiß, Tränen flossen, und nach meiner Zählung gab es drei Selbstmordversuche (alle glücklicherweise verhindert). Und ja, Anfang des Monats kletterte ich in die große Todesfalle aus Stahl und schoss quer über den Himmel nach Iowa, wo ich an den Feierlichkeiten teilnahm, die rund um den 75. Jahrestag einer zurecht verehrten Einrichtung, des Writer’s Workshops, stattfanden. Ich wies das Publikum darauf hin, dass ich dort zum 50. Jahrestag auf der Bühne stand (bei dem ich Teil einer Diskussionsrunde mit Ray Carver, Stephanie Vaughn, Jim McPherson und Bob Shacochis war, bei der wir über die Renaissance der Kurzgeschichte redeten), und ich versicherte ihnen, dass ich ganz sicher zum 100. Jahrestag wiederkommen würde. Diesmal war ich allerdings alleine und mein Thema war »Die Zukunft der Kurzgeschichte«. Da meine Zeit auf der Bühne auf eine Viertelstunde begrenzt war, musste ich mich zu dem Thema natürlich kurz fassen, aber es gelang mir, hoffe ich, etwas Wertvolles zu sagen und meinen Mentoren aus Iowa Anerkennung und Dank zukommen zu lassen: Vance Bourjaily, John Cheever, John Irving, Frederick P.W. McDowell (der Vorsitzende meines Doktorarbeitsausschusses), Miriam Gilbert, John Huntley und Dave Morrell.
     Aber Iowa. Seit unserer Studentenzeit stehen wir alle in Konkurrenz zueinander, ganz egal, wie sehr wir versuchen, das zu verleugnen, und Solidarität schwören, und so ist es bis zum heutigen Tag geblieben. Das war ein Treffen der Platzhirsche der Literatur. Meine Vorgehensweise? Ich stand da mit einem Cocktail in der Hand und wartete, bis einer von ihnen sich umdrehte und ich an sein/ihr Bein pinkeln konnte. Aber nein, im Ernst, meine Freunde, war ich über solche Kleinlichkeit erhaben und habe die ganze Nostalgie-Reise sehr genossen, vor allem die verschiedenen Sitzungen über Literatur und die Gespräche nach Konferenzende in den dunklen und stinkenden Bars, die sich seit meiner Studienzeit nicht im geringsten verändert haben, außer vielleicht, dass es jetzt in den Toiletten ein oder zwei neue Seifen mehr gibt.
     Bevor ich es vergesse und mich an die Arbeit mache, während ich Euch ein schönes Feiertagswochenende hier in Amerika wünsche (wie ich von diesen ehrwürdigen Historikern, Ms. Bachmann und Ms. Palin, höre, haben wir die vereinigten Flotten von Russland, Polen und China im Jahre 1632 mit dem einfachen Trick besiegt, dass wir ihre Kommunikation per Radio gestört haben, daher die Feier), sollte ich sagen, dass ich so fleißig arbeite wie je zuvor, damit ich San Miguel fertig habe, wenn ich mich das nächste Mal hier zu Wort melde. Das hoffe ich zumindest brennend. Bis dahin, cin cin.


Im Original erschien der Text am 04. Juli 2011 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Sabine Anders.