Von T. Coraghessan Boyle
Deutsch von Ulrich Tepelmann
Hier bin ich wieder, mit meinem monatlichen Bericht, auch wenn es nichts zu berichten gibt. Der Herbst schleicht zügig voran, der Sommer ist vorbei (obwohl ich gestern mit dem Kajak die Weiten des gewaltigen Pazifik befahren habe und durch seine schäumenden Wellen geschwommen bin), und mein Leben geht auf die bestmögliche Art weiter: ruhig und friedlich. Jeder Tag ist wie der vorige: vormittags bis in den Nachmittag arbeiten, gefolgt von einer Wanderung oder einer Paddelbootstour, dann nach Hause, ein Glas Wein und Abendessen mit meiner Frau, ein Buch, ein Film, das Bett. Ich langweile mich nicht. Nicht sehr. Ich mag es, wie sich die Stunden elastisch dehnen und amüsiere mich am Strand oder im Garten oder draußen auf den Wanderwegen. Was die Arbeit betrifft, so bin ich voll und ganz mit dem neuen Roman beschäftigt, Blue Skies, auch wenn ich mich gleichzeitig auf das letzte der Interviews für Sprich mit mir vorbereite, die alle bis auf eins virtuell waren, für das ein wirklicher Reporter in Fleisch und Blut tatsächlich in mein Haus gekommen ist. Kaum zu glauben!
Was Live-Musik betrifft: Danach sehne ich mich, und auch nach Live-Gesellschaft. Kalifornien ist der am meisten durchgeimpfte Staat in den USA, und da Frau B. und ich nun unsere dritte Impfung bekommen haben, denke ich über ein paar Kurzreisen mit Übernachtung in die nähere Umgebung nach, einfach um ein paar kürzlich abgestorbene Bäume und tote Sträucher zu sehen (zu diesem Thema siehe auch meine Geschichte aus Sind wir nicht Menschen: Was Wasser wert ist, weißt du (erst, wenn du keins mehr hast). Laut den Vorhersagen wird die Dürre ewig währen. Wir sehnen uns alle nach Wasser, so wie wir uns nach Liebe und Essen und Musik sehnen. Gestern nachmittag gab es ein sehr seltenes Ereignis: Blitz und Donner, und wir sahen siebenunddreißig Tropfen staubigen Wassers auf dem Bürgersteig; wir brauchen jedoch noch mehr, viel mehr. Ein Freund der Erde, welches ich 2000 veröffentlicht habe, blickte voraus ins Jahr 2026 und schilderte die meteorologischen und epidemiologischen Katastrophen, die wir jetzt erleben. Das deprimierte uns damals und deprimiert uns heute, da die Realität die Fiktion eingeholt hat, noch viel mehr. Vor vielen Jahren sagte einer der Mitarbeiter meines deutschen Verlags, Hanser, auf meiner ersten Deutschland-Tour zu mir: »Wir verlegen gerade einen englischen Romanautor, der über ein kleines Dorf schreibt, wo alle freundlich sind und so Sachen zusammen machen wie Tee trinken.« Pause. »Aber über sowas schreiben Sie nicht, oder?«
Ich verlasse Euch nun mit einem Foto, das ich letzte Woche gemacht habe, nachdem ich vom Strand aus den Berg hinauf gestiegen bin. Ich war schwimmen und hatte etwa eine Stunde unter einer Art primitivem Gerüst gelegen, über das ich eine alte Decke geworfen hatte, um ein bisschen Schatten zu haben. Ich habe gelesen und auf das sonnenüberflutete Wasser geschaut. Dann bin ich nach Hause gegangen, um mit Frau B. ein Glas Wein zu trinken. Gibt es irgendeinen Grund, sich über ein solches Szenarium zu beschweren? Nein. Keinen einzigen. Nicht ein bisschen. Aber ich wünsche mir wirklich, dass es regnet …
Im Original erschien der Text am 05. Oktober 2021 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.