Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Ulrich Tepelmann

 

(Monat drei im Jahr der Seuche)

Natürlich hat die Corona-Krise eine schreckliche Wunde in den Leib der Menschheit geschlagen, aber es sieht so aus, als bekämen all die anderen Geschöpfe auf der Welt ein Stück von dem zurück, was wir ihnen mit unserer fieberhaften und lautstarken Aktivität weggenommen haben. Die Vögel und die Insekten und ein überaus fetter Ochsenfrosch bringen mir morgens und abends ein Ständchen, und ich höre keine Motorräder und PS-starken Sportwagen. Es ist so wunderbar beruhigend. Wie viele von Euch wissen, habe ich vor ein paar Jahren über ein ähnliches Phänomen geschrieben, in meiner Erzählung über die Rückkehr der Natur in der Isolationszone um Tschernobyl (In the Zone), und diese Vorstellung übt eine große Faszination auf mich aus, und vergesst jetzt am besten mal die eingedrungene »Mörderhornisse«, die im pazifischen Nordwesten Amerikas aufgetreten ist. (Eindringlinge! Lest Wenn das Schlachten vorbei ist, um die Auswirkungen zu beurteilen.)
     Auf jeden Fall hat die Ausgangssperre mich nicht vom Wandern abgehalten, allein, und dabei beachte ich eine soziale Distanz von mindestens einer halben Meile, was mir die wilde Natur noch viel eindrücklicher nahegebracht hat als hier bei mir im Garten. Also gut. Vor zwei Wochen sind der Hund und ich zur Paradise Road gegangen, auf der anderen Seite der Santa Ynez Berge, wo wir im Los Padres National Forest umherwandern können. So weit im Landesinneren war es sehr heiß. Die Stechmücken waren begeistert mir zu begegnen, genau wie die Zecken, aber richtiges Herzklopfen bereitete mir das plötzliche Erscheinen einer stattlichen Klapperschlange, die zusammengerollt in ihrem eigenen Schatten nur zwei Fuß vom überwachsenen Pfad lag. Sie kündigte ihre Gegenwart an. Sie war verärgert. Und während ich flugs den Hund an die Leine nahm, damit er nicht zu nahe heran kam, schoss die Schlange hinein ins Gestrüpp wie ein Fleisch gewordener Pfeil. Und dann kam ich gestern nach Hause, nach der Begegnung mit einer (für Mensch und Hund gleichermaßen) harmlosen rotbäuchigen Schlange, die in das Blätterdach einer Eiche schlüpfte, gerade als wir auf einem anderen, belebteren Weg an ihr vorbeikamen, und fand eine zehn Zentimeter lange Stabheuschrecke, die sich an einem der vorderen Fenster häuslich einrichtete. Sie war ein wahres Wunderwerk. Wenn wir jemals Wesen von einem anderen Planeten treffen sollten, könnten sie kaum fremdartiger sein als dieses übernatürliche Insekt – es war eine Begutachtung mit einem Vergrößerungsglas nötig um herauszufinden, wo der Kopf und wo das Hinterteil war, aber dann ergab die Untersuchung, dass sie Augen hatte! Genau wie wir. Ich frage mich immer noch, was das in mir auslöste.


Im Original erschien der Text am 12. Mai 2020 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann. Foto: T.C. Boyle.