Von T. Coraghessan Boyle
Deutsch von Ulrich Tepelmann
Bin jetzt seit zwei Wochen zu Hause. Schön. Hier an der kalifornischen Küste erleben wir gerade unseren »düsteren Juni«, wenn kühlfeuchte Luft vom Meer hereinstömt und Nebel und tiefhängende Wolken an die Küste drängen. Ich glaube, ich habe es hier schon letztes Jahr um diese Zeit erzählt: Ich liebe das, aber da bin ich ganz bestimmt in der Minderheit. Tatsächlich war es so, dass, nachdem ich am Unterricht meines Sohnes in der Santa Barbara Highschool teilgenommen hatte, und wir (meine Frau, meine Tochter und ich) zu Mittag in einem meiner Lieblingslokale auf der State Street gegessen haben, wir die einzigen Gäste dort waren. Ohne Sonne keine Touristen.
Das letzte europäische Abenteuer war ziemlich nervig (der Flug, die Hotels, die ganze Verehrung), ich habe aber in London und an einem der seltenen sonnigen Tage in Amsterdam ein paar Stunden für mich gehabt. Genauer gesagt, als am ersten Tag in Amsterdam die Interviews vorbei waren, hatte ich nichts zu tun und konnte mit einem Buch in der Hand die Kanäle entlang spazieren. Und das war, ja, entspannend, und Entspannung ist etwas, das bei mir in letzter Zeit zu kurz gekommen ist. Das war auch schön, denn Amsterdam war die erste europäische Stadt, in der ich jemals gewesen war, und ich wohnte diesmal in derselben Straße (Herengracht), und eineinhalb Ecken entfernt von der Billigabsteige, die ich vor vielen Jahren als erstes heimgesucht hatte. (Noch was zu Amsterdam: Ich habe jetzt einen neuen niederländischen Verlag, Ambos/Anthos, während ich früher von Contact verlegt wurde, und beim ersten Mal besuchte ich im Auftrag dieses Unternehmens den Verleger selbst und aß zu Abend bei ihm zuhause, einem Haus, das in den 1600er Jahren erbaut worden war; nach den Cocktails und ein bisschen Geplauder über sehr Altes, konnte ich stolz verkünden, dass ich in L.A. im ältesten Haus der Straße wohnte, erbaut vor sehr langer Zeit, 1949.) Jedenfalls hat es mir dort gefallen, und in Dublin ebenso, wo ich mit ein paar alten Freunden aß, quatschte und einen klitzekleinen Schluck John Powers Whiskey kippte. Ah ja, und bevor ich den Boogaloo-Club in London vergesse, erwähne ich ihn hier und jetzt, wo Richard Price und ich ein gut aufgelegtes Publikum unterhielten, und auch »The Kitchen« in Den Haag, wo Louis Behre ein verrücktes und wunderschönes Publikum dazu brachte, einem Non-Stop-Monolog, einigen gut ausgearbeiteten Witzen und einer Lesung aus Drop City zuzuhören, außerdem dem alten Dauerbrenner Ende der Nahrungskette.
Zu den Neuigkeiten: Ich habe noch einen Auftritt, bevor im Sommer alles zum Stillstand kommt und ich hinauf in die Berge eilen kann, um letzte Hand an Dr. Sex zu legen, das jetzt auch schon ziemlich dicht vor der Vollendung steht. Der Auftritt ist in San Diego am Montag, 16. Juni. Zuerst bin ich in der ersten Folge von »Book Club of the Air« auf KPBS um 18:30, Moderator ist Dirk Sutro. (Jawohl, ihr habt es erraten: The Tortilla Curtain (América).) Nach der Radiosendung gehe ich nach nebenan ins Backdoor, einem Club auf dem Campus der San Diego State University, wo ich ein bisschen lese und Bücher signiere. Alle San Diegoer sind eingeladen (genau wie alle anderen, die Leute aus Indiana, aus Ohio, aus Iowa und Hinz und Kunz, obwohl die Anfahrt für einige vielleicht ein kleines bisschen zu weit ist). Übrigens, eines der befriedigendsten Dinge in London war eine ähnliche Radiosendung über Bücher auf BBC, präsentiert von James Naughtie – dieses Format mochte ich wirklich. Von allen, die América gelesen und besprochen hatten wurden zwanzig ausgewählt, ins Studio zu kommen und mit uns an der Live-Diskussion teilzunehmen. Was war so toll daran? Der Grad der Begeisterung, die offensichtlich spannungsgeladene Atmosphäre und wie durchdacht die gestellten Fragen waren. Für mich – wie für jeden Autoren – ein kurzer Besuch im Himmel.
Also. Mein Knie tut weh. Mein Kopf tut weh. Mein Ellbogen tut weh. Aber ich weiß ja, dass die Kniescheibe mit dem Oberschenkelknochen verbunden ist und der Oberschenkelknochen mit dem Was-auch-immer-Knochen, und das hält mich aufrecht – und so begebe ich mich hinaus in die nahen Berge, um schön in Süßwasser zu baden (man fährt hoch über den San Marcos Pass und schwuppdiwupp ist man im schönsten Sonnenschein). Ich fühle mich ein wenig besser, während ich hier sitze und von einer Abschweifung abschweife, aber ich erlebte am Montag vor einer Woche zum ersten Mal, dass ich, ausgestreckt auf der Couch in meinem Büro liegend, für gut drei Stunden am Lesen und Musikhören war, nachdem ich mich ausgezogen hatte, geschwommen war, mich wieder angezogen hatte und ein wenig gewandert war, plötzlich eine Bewegung auf meiner Haut spürte, dieser kostbaren Haut, genau oberhalb des zuvor erwähnten Hüftknochens. Möchte jemand wetten? Genau, es war der Cousin der Hirschzecke, die mich letzten Monat erwischt hatte, doch diese hier hatte noch nicht meinen süßen, empfindlichen Punkt gefunden, und ich beförderte sie (oder ihn?) an einen dunklen und stürmischen Ort, ich ich hoffe wirklich, um aller Parasiten willen, dass sie (er?) schwimmen kann.
Ciao erstmal – ich widme mich jetzt einem guten Buch.
Im Original erschien der Text am 12. Juni 2003 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.