Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Ulrich Tepelmann

 

Vor vierzehn Jahren, im furchterregenden Millennium-Jahr 2000 (wisst ihr noch, Y2K?) schrieb ich in Ein Freund der Erde über die Fluten, die Dürren und andere Verwerfungen der Erderwärmung. In diesem Buch blickte ich, wie viele von Euch noch wissen, ein Vierteljahrhundert in die Zukunft und musste seitdem immer wieder schmerzlich eingestehen, dass ich viel zu optimistisch war, was den Zeitpunkt angeht, an dem die Katastrophe tatsächlich über uns hereinbrechen und uns in ihren meteorologischen Klauen packen würde. Nun, dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Ich kann mit Euch, die ihr im Mittleren Westen und im Osten der USA und auch in England und Europa lebt, mitfühlen, denn Ihr habt auf Grund des Einbruchs des Jetstreams einen besonders harten Winter erlebt. Für uns, die wir hier draußen unter fünfundzwanzig Grad Celsius und strahlendem Sonnenschein leiden, ist die Trockenheit das Problem. In meinem kleinen Dorf, das in einem gemeindefreien Gebiet unmittelbar südlich von Santa Barbara liegt, sind wir zur Zeit verpflichtet, den Wasserverbrauch um 30 % zu reduzieren. Frau Boyle und ich baden jetzt gemeinsam, und danach verwenden wir das Badewasser zum Wäschewaschen und nutzen den Rest, um Kaffee sowie Spaghetti zu kochen und die Pflanzen im Garten zu gießen.
     Und jetzt ist Regenzeit. Offiziell. Noch. Da kein Regen mehr in Sicht ist, müssen wir bis Dezember warten, bis wir wieder auf einen oder zwei Tropfen hoffen können. Lebt wohl, Sträucher, macht’s gut, Bäume. Den Rasen werde ich einfach grün anmalen, keine große Sache, aber wie sehr sehne ich mich nach gewundenen Flüssen und der stillen Kühle von Bergseen! Nun gut. Ich habe ja das Meer und werde dort herumtollen (nur um den Gestank loszuwerden), bis ich mit einer Salzschicht überzogen bin, aber das ist keine Lösung. Woran ich denke? Ich verkaufe alles, ziehe nach Rangun und sehe zu, wie die Schnecken und Blutegel die Fensterscheiben hinaufkriechen, während ich Gin-Tonic schlürfe und Chloroquin-Tabletten schlucke.
     Dies alles ist die Einleitung zu meinen Erlebnissen in Arizona Anfang dieses Monats. Der einzige richtige Sturm seit Jahren traf uns am Freitag, dem 28. Februar, gerade als ich in der Gesellschaft von zehntausend um sich spritzenden achtzehn-rädrigen Lastwagen in das ausgetrocknete Zentrum von Yuma County fuhr. Das nennt man Ironie. Zu Hause hatte ich alle möglichen Dinge getan in der Hoffnung, Regen herbeizuführen (siehe meinen Blog-Eintrag vom letzten Monat) und hier mit Eimern herumzurennen, wenn nicht sogar auf der überdachten Terrasse zu sitzen und der Symphonie der Tropfen zu lauschen, die von Wiederauferstehung der Natur kündet, aber stattdessen befand ich mich draußen, unterwegs auf der Straße und riskierte mein Leben. Es war heftig. Und die Lage sehr angespannt. Ich schaffte es ohne Zwischenfälle und verbrachte ein paar Tage in Yuma, inklusive einigen sehr lohnenden Stunden im Territorialgefängnis (wo ich vor vielen Jahren wunderschön den Bund der Ehe mit Frau Boyle geschlossen hatte); außerdem war ich auf dem Salat-Festival und wanderte am kanalisierten und stark geschrumpften Colorado River entlang. Dann machte ich mich auf den Weg nach Flagstaff, wo ich die Kurzgeschichte Wiedererleben zum ersten Mal live vor Publikum lesen sollte.
     Als ich gerade im Begriff war, aus Flagstaff abzureisen, tauchte ein alter Freund auf und überredete mich, mit ihm zum nahe gelegenen Grand Canyon zu fahren, den ich bis zu diesem Zeitpunkt nur aus 10.000 Metern Höhe gesehen hatte und über den ich seit nunmehr über zehn Jahren eine wunderbare Idee für eine Kurzgeschichte im Kopf hatte. Es war später Nachmittag, kalt, und ein strammer Wind wehte. Da war der Canyon in all seinen Farben und seiner großen Leere. Und zwischen mir (und dir) und der Tiefe nichts als eine kleine, achtzig Zentimeter hohe Steinmauer. Was für eine Stelle für einen Selbstmord. Und einen Mord. Oh, mein Gott. Man muss nur seine Feinde da hoch locken, wie zufällig mit der Hüfte anstoßen, und weg sind sie. Da ich ich ja tatsächlich hier sitze und auf meiner Tastatur herumklimpere, dürfte klar sein, dass ich der Versuchung zu springen widerstanden habe, und die meisten meiner Feinde, ganze, wimmelnde Armeen von ihnen, sitzen zu Hause und füttern ihre Katzen. Stattdessen bin ich zitternd am Rand entlang gelaufen, bevor ich mich in das alte El Tovar Hotel mit seinen Holzbalken verzog, um einen Happen zu essen, in einer Atmosphäre, die nur durch Regen hätte verbessert werden können. Oder durch Schnee.
     Ich möchte natürlich nicht zu viel aus all dem machen, denn wenn ich Euch im nächsten März berichte, wird alles noch viel schlimmer sein, die Dürre noch größer, die Vegetation noch toter, denn wie wir aus der Lektüre der großen Philosophen aller Jahrhunderte wissen, ist die eine Wahrheit des Lebens die, dass alles immer schlimmer wird. Wenn ich aus der brandneuen Erzählung Der Fünf-Pfund-Burrito zitieren darf:

Wir durchleben unsere Zeit auf Erden in einer Anhäufung von Millisekunden, Sekunden, Minuten, Stunden, Tagen und Jahren, und das Leben ist ein Weg, dem wir alle, ausnahmslos, bis zum Ende folgen müssen. Gibt es Veränderung – oder auch nur eine Hoffnung darauf? Ja, aber Veränderungen sind strapaziös, schlecht für die Nerven und fast immer eine Wendung zum Schlechteren. (Übersetzung von Dirk van Gunsteren)

     Aber Moment mal – ist heute nicht St. Patrick’s Day? Stimmt, stimmt. Also vergesst das alles und erhebt mit mir das Glas, trinkt auf die Freude. Slainte, Leute. Bis zum nächsten Mal


Im Original erschien der Text am 17. März 2014 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.