Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Ulrich Tepelmann

 

Heute feiern wir die Wiedergeburt der Demokratie in Amerika, nachdem sie vier Jahre lang einem Angriff durch die extreme Rechte ausgesetzt war, dessen Höhepunkt der Sturm von Aufwieglern auf das Kapitol war, angestachelt von einem amtierenden Präsidenten. Allein schon beim Aufschreiben dieser Worte läuft es mir kalt den Rücken herunter – ich hätte mir nie träumen lassen, dass wir mal so nah dran sein könnten unter die Fuchtel einer Diktatur zu geraten. Der Präsident, begünstigt und unterstützt von Verrätern im U.S.-Senat und im Repräsentantenhaus, die ihren Amtseid vernachlässigt haben, um einem einzelnen Mann die Treue zu schwören, der sich über das Gesetz gestellt hat, hätte fast seinen Willen durchgesetzt. Aber die am längsten existierende Demokratie der Welt steht noch, und heute abend werde ich zur Feier des Tages mein Glas mit Champagner erheben. Es war ein langer Alptraum, nicht allein für unser Land, sondern auch für die ganze Welt und jeden lebenden Organismus, den sie ernährt. Das heißt, außer den Mikroben, die definitiv gegen alle Widerstände gezeigt haben, dass wir nicht an der Spitze der Nahrungskette stehen, und die von dem politischen Chaos und den Fehlinformationen und der Inkompetenz der Regierung profitiert haben. Und so konnten diese Mikroben unter unserer Bevölkerung Amok laufen und damit die USA zum Weltmeister bei den vermeidbaren Todesfällen machen. Es wird Zeit, der Zwietracht den Rücken zu kehren und uns unseren Freiheiten und der Hoffnung zuzuwenden, die die neue Biden/Harris-Regierung uns verspricht. Also lasst uns das Glas erheben und auf die Hoffnung trinken!
     Da wir gerade von Mikroben sprechen: Mitten in all der Furcht, die von Washington und von den aufeinanderfolgenden Wellen von COVID-19 ausging, hatte ich meine eigene kleine Begegnung mit einem scheußlichen Bakterium und seinen Milliarden Geschwistern, die meinen ahnungslosen Körper als Labor benutzt haben. Folgendes ist passiert, und wenn da etwas Voodoo und Übernatürliches dabei sein sollte, dann sei es so. Vor zweieinhalb Wochen war ich auf einem Wanderweg in den Santa-Ynez-Bergen unterwegs, auf dem ich oft entlang wandere, weil dort nie jemand anderer ist (soviel zum Thema Abstand halten). Es war ein kühler Tag mit einem recht kalten Wind. Als ich erfrischt nach Hause kam, entfachte ich ein Feuer und setzte mich zum Lesen davor. Aber nun fing mein rechter Unterarm an wehzutun, mit einem starken, pochenden Schmerz, so als ob ich gefallen wäre und mir den Knochen angestoßen hätte; das hatte ich aber nicht. Und erst dann habe ich die Zecke entdeckt, eine Larve von Ixodes scapularis, die nicht größer ist als ein Körnchen gemahlener Pfeffer. Ich musste meine Lesebrille aufsetzen, um sie gut genug zu sehen, so dass ich sie mit einer Pinzette entfernen konnte.
     Und jetzt wird es, nun ja, ein bisschen eigenartig. In dem Roman, an dem ich gerade arbeite, ist eine der Figuren eine Acarologin (jemand, die Zecken und Milben studiert). Ich hatte gerade ein Kapitel beendet, das damit aufhört, dass ihr Freund nach einer Exkursion eine Ixodes scapularis in seiner Haut entdeckt. Und darüber hinaus: Ich hatte kürzlich Matt McCarthys Sachbuch Superbugs gelesen über antibiotikaresistente Bakterienstämme und unbehandelbare Infektionen. Als ich meinem Hausarzt ein Bild meines Unterarms geschickt hatte, diagnostizierte er nicht nur eine Lyme-Borreliose, die dieses Geschöpf ebenfalls überträgt, sondern auch eine Cellulitis, eine bakterielle Infektion des Unterhaut-Bindegewebes. Ich hatte nur ein einziges Mal vorher von Cellulitis gehört – in der vorangegangenen Woche, als ich Superbugs gelesen hatte. Was sagt man dazu. Und das war nicht das erste Mal, dass ich Dinge beschrieben habe, die in den darauf folgenden Wochen oder Monaten oder auch Jahren passiert sind. Ich muss wirklich vorsichtiger sein mit den Worten, die in einem endlosen Strom mein Gehirn überfluten.
     Oh ja, es gibt eine Menge zu feiern. Die Infektion, zehn Tage lang in Acht-Stunden-Intervallen mit einem starken Antibiotikum bombardiert, in 300 mg-Kapseln, wurde schließlich schwächer und ist jetzt, da ich dies schreibe, auf dem endgültigen Rückzug. Ich würde dasselbe gern auch über das Virus sagen, das Trump in den politischen Körper injiziert hat. Gegen Faschismus gibt es keinen Impfstoff, aber es gibt einen, der uns vor COVID-19 schützt und uns wieder zu einer offenen Gesellschaft machen wird. Mein Arm, von der durch eine Zecke übertragenen Krankheit geheilt, sehnt sich danach.


Im Original erschien der Text am 20. Januar 2021 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann. Foto: T.C. Boyle.