Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Sabine Anders

 

Als Antwort auf die Frage, die Mr. P. in seiner Nachricht im Diskussionsforum gestellt hat (»Wo ist B.?«), habe ich folgendes zu berichten: Ich war auf Reisen. Nicht zur Buch-Expo, wie Mr. P. vermutete, sondern eher zum Vergnügen, für mich wirklich eine seltene Art zu reisen. Als erstes war ich auf der Hochzeit meines lebenslangen Freundes Maslovat in Chicago, wo ich die architektonische Bootstour auf dem Fluss unternommen und sorgfältig an meinem andauernden Projekt gearbeitet habe, mindestens zweimal in jede Bar in den Vereinigten Staaten zu gehen. Alles ging im Delirium gut, bis Frau Boyle und ich den Flug zurück nach L.A. nahmen und entdeckten, dass wir bis zum Abflug drei Stunden und vierzig Minuten auf der Rollbahn im Flugzeug sitzen sollten. Warum? Weil es der Fluggesellschaft gefiel, uns festzuhalten durch eine Reihe von kleineren, maschinellen Notfällen und dadurch, dass sie das Passagierverzeichnis skrupellos durcheinanderbrachten (wir mussten nicht einmal zum Gate zurück, sondern zweimal), sodass ich es nach einiger Zeit sogar mit Humor nahm, allerdings mit der Art von Humor, die man fühlt, wenn der Zahnarzt mit dem Bohrer abrutscht. Das war eine Fluggesellschaft-Vorführung in der Art, wie man sie von Samuel Beckett Air – oder noch besser, vom Lauren-und-Hardy-Flugunternehmen – erwartet.
     Der zweite Abschnitt meiner Reiseunternehmung vor kurzem führte mich nach Arizona, wo ich meiner Schwester in Kingman einen Besuch abstattete, und dann zu Milo, der letzte Woche in Phönix gearbeitet hat. Daran waren keine Flüge beteiligt. Nur ich und mein rechter Fuß. Die Dattelpalmen blühten, die Wüste zog am Fenster vorbei, Rennkuckucks sprangen auf meinen Befehl umher. Und mir war es vergönnt, einen Tag, einen herrlichen Tag, in einem guten Hotel nur ein paar Schritte entfernt vom Swimming- und Whirl-Pool zu verbringen und nichts tun zu müssen, außer mir erfrischende Getränke einzuverleiben, hin und wieder ins Wasser zu springen und nach Lust und Lause zu lesen, während über mir Bussarde ihre Kreise zogen und das Zwitschern der Sperlinge aus ihren Nischen in den Palmen zu hören war. Jetzt bin ich wieder da. Und dazu bereit, mir weiter Notizen zu machen, womit ich in der ersten Monatshälfte angefangen hatte, in der Absicht, die Gesichtszüge meines nächsten Romans zu entdecken.
     Und das bringt uns zu dem beigefügten Foto. Als ich meinen Anzug für die fantastische Maslovat-Dichtung anzog, langte ich zufällig in die Brusttasche und entdeckte einen zusammengefalteten Briefumschlag. In dem Umschlag waren vier Fotos aus der fernen Vergangenheit und mir fiel ein, dass ich ihn an dem Abend meiner Rückkehr nach Peekskill für die Vierhundertjahr-Feier letzten Herbst in dieser Tasche versteckt hatte. Die Fotos hat mir ein alter Freund gegeben, den ich seit vielen, vielen Jahre nicht mehr gesehen hatte. Er heißt Joel Lynch und teilt sich dieses Foto mit mir. Ich weiß nicht mehr genau, in welchem Jahr das war, aber die Frisur lässt auf Anfang bis Mitte der 70er Jahre schließen, und der Pullover deutet darauf hin, dass es Winter war. Was die Wohnung angeht, kann ich nur mit Sicherheit sagen, dass sie irgendwo existiert haben muss. Das ist das Wesen der fernen Vergangenheit. Wir waren dort, wir unterhielten uns und hörten Musik, und zweifellos wurden große und wichtige Dinge verbreitet und eine erstaunliche Weisheit nach der anderen geäußert, aber, ach, jetzt ist alles vorbei. Wäre es nicht toll, wenn man solche Szenen nochmal abspielen könnte, und nicht nur als Film, sondern sie im Geiste und auch im Körper nochmal zu durchleben? Aber andererseits, da wir vom Körper reden, nehme ich an, dass es gewisse ausgewählte Szenen gibt, die sich als noch anregender erweisen könnten. Na ja, wenigstens habe ich den Pulli immer noch.


Im Original erschien der Text am 30. Mai 2010 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Sabine Anders.