Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Ulrich Tepelmann

 

Ein ausgefüllter Monat. Ich habe eine ganze Menge Meilen zurückgelegt, während Körper, Geist und Seele in 11.000 Meter Höhe in einer jaulenden Todesfalle aus Metall (alias Flugzeug) gepeinigt wurde, das über schneebedeckte Berge, grau-braune Ebenen, vor Leben sprühende Wälder und das weite endlose Meer raste, meinen Zielen in Deutschland und Österreich entgegen. Wo ich von Berlin nach Wien nach Stuttgart nach München nach Altenberg und Hamburg reiste, um die Massen zu unterhalten, Tausende von Büchern zu signieren und danach viele schöne Stunden mit alten Freunden zu verbringen. Ich aß Spargel, reichlich, serviert mit Salzkartoffeln und triefend vor Sauce Hollandaise. Trank Bier. Trank Wein. Traf jede Menge meiner Gesprächspartner auf Twitter, die ich aus der Entfernung kannte und liebte und die ich nun endlich leibhaftig treffen konnte. Alles gut. Natürlich riecht dein Urin durch Spargel ganz merkwürdig, durch welche chemischen und physiologischen Prozesse auch immer, aber das war nur ein kleiner Preis, den man für die Delikatheit und Delikatesse des weißen Spargel zahlt, den wir hier in Kalifornien nicht oft bekommen.
     Höhepunkte? Ein Interview mit Chelsea Speaker auf der Pioneer, ein Medienschiff in Berlin, das auf den Wasserstraßen kreuzte, während wir uns unterhielten. Der unangekündigte streng geheime musikalische Abend mit Florian Werner in einem Club, wo wir auf der Bühne Musik spielten und über meine musikalische Autobiographie der traurigsten der traurigen Songs plauderten (einschließlich Van Morrisons Version von Carrickfergus, was, wie viele von Euch wissen werden, am Ende von Wenn das Schlachten vorbei ist vorkommt*). Denis Schecks Festival in Altenberg, bei dem Denis und ich zweimal auftraten, am Abend und am nächsten Morgen, einschließlich eines kompletten Vortrags von Sind wir nicht Menschen. Und natürlich die brillanten Sprecherinnen und Sprecher und Schauspielerinnen und Schauspieler, die sich mit mir auf der Bühne befanden; mit vielen von ihnen hatte ich schon früher das Vergnügen zusammenzuarbeiten, allen voran Thomas Böhm und Katja Amberger. Und das Essen, das Essen, das Essen. Das beste von allen war ein weiteres besonderes Dinner in der Hollerei in Wien.
     Das Resultat? Ich stolperte nach dem längsten Tag, den ich je erlebt hatte (20. Juni), aus dem Flugzeug, die Sonne ging erst unter, als ich längst von Bord gegangen und die zwei Stunden vom Flughafen in L.A. nach Santa Barbara gefahren war. In einem endlos langen Moment auf der nicht enden wollenden Rückreise spähte ich aus dem Fenster und sah das zerbrochene Eis auf der Hudson’s Bay weit unten schimmern und dachte an Sir John Franklin, der 1847 irgendwo da unten auf der Suche nach der Nordwest-Passage starb (siehe meine Geschichte Der Polarforscher). Für mich war es leichter. Alles, was ich ertragen musste, war die klaustrophobische Nähe von anderen großen Affen und die ständige Entschlossenheit der Fluggesellschaften, jeden Flug so unerträglich wie möglich zu gestalten. Beschwere ich mich? Ja. Doch jetzt bin ich wieder hier und mache das, was ich gewohnt bin – Fiktion schreiben – und verbringe die Nachmittage damit, Wanderungen zu unternehmen und durch den Sand an meinem Lieblingsstrand zu schlurfen. Der größtenteils, wenn nicht sogar ganz, verlassen ist. Es tut wirklich gut, zu Hause zu sein.

* In der deutschen Übersetzung des Romans wurde dieses Lied durch Somewhere over the Rainbow ersetzt.


Im Original erschien der Text am 30. Juni 2023 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.