Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Ulrich Tepelmann

 

Zu meiner Liste der nach-pandemischen »ersten Male« muss ich nun meinen ersten transkontinentalen Flug hinzufügen (obwohl: den Begriff »nach-pandemisch« zu benutzen ist wohl ein wenig voreilig, denn ich fühlte mich zwar bei der Abreise nach New York am 11. Juli einigermaßen sicher, aber als ich gestern zurückkam, überschattete die Delta-Variante alles, und ich fühlte mich zunehmend alarmiert, wenn nicht sogar paranoid). Jawohl, ich maskiere mich wieder, nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch wenn ich dusche, schlafe und mit Frau B. intim bin. Lasst uns einen Moment innehalten und den Impfgegnern, den Qanon-Anhängern und den Desinformationstruppen des rechten Flügels dafür danken, dass sie weiterhin die Gesellschaft lahmlegen und Menschen umbringen, ein Riesendienst an der Allgemeinheit. Heute kam in den Nachrichten die Geschichte einer Impf-Befürworterin aus Arkansas, die mit einem Magneten herumläuft und den Impfgegnern demonstriert, dass der Impfstoff tatsächlich nicht ihren Körper magnetisiert. Legt den Magneten an den Arm des Geimpften und seht, wie er herunterfällt! Erstaunlich! Das ist, das ist, das ist … fast so was wie … Wissenschaft! Alles klar. Es ist an der Zeit, meine Geschichte Der Flüchtling noch mal zu lesen, über die Ethik von Vorschriften zum allgemeinen Gesundheitsschutz.
     Ich hatte eine Lesung in New York und traf mich zum Essen mit meinem Redakteur und arbeitete jeden Tag am neuen Roman, fand aber auch Zeit, durch die Wälder des Fahnestock-Parks zu streifen, wie die unter Euch wissen, die mir auf Twitter folgen. Die Wälder haben mich wieder zum Leben erweckt. Hier in Kalifornien hat der Klimawandel alles ausgetrocknet, mein Gehirn eingeschlossen, und die Natur ist auf dem Rückzug. Wenigstens in New York konnte ich in Süßwasser herumtollen, und ich war erstaunt, wie stark sich die fliegenden Insekten vermehrt haben (nein, nicht nur Mücken, obwohl die sehr zahlreich waren und ich es auf mir nahm, sie wann immer es mir möglich war zu füttern) und auch Singvögel, von denen es hier nur wenige gibt. Die Welt schien wie neugeboren, und alles, was dazu nötig war, war Wasser. Ich genoss es auch, energisch im mächtigen Hudson gegen die Strömung zu schwimmen, wobei mich glücklicherweise nicht das Schicksal des Protagonisten aus Ein Tod weniger ereilte, der mit seinem Kanu unter einer Eisenbahnbrücke festsaß, als ihn die Flut überraschte.
     Und schließlich, da ich mich so langsam aus den vielfältigen Katastrophen herausarbeite, die sich jedes Mal während meiner Abwesenheit in meinem Haushalt ansammeln, freue ich mich auf die Veröffentlichung meines neuen Romans, Sprich mit mir, im September. Bald fangen die Presse-Interviews dazu an, genauso wie ein paar Zoom-Konferenzen. Bleibt dran, ich lasse Euch Ort und Zeit wissen. Zwischendurch drohen zwei weitere Flüge – einer nach Nashville für eine Lesung an der Tennessee Tech University am 23. September und der andere einen Monat später zur University of Iowa, die mir den Magister- und den Doktortitel Ph.D. verliehen hat. Werden wir bis dahin frei von Furcht reisen und uns treffen können? Verlasst Euch nicht darauf. Die Schwachköpfe da draußen arbeiten verbissen daran, ihre Körper als Produktionsstätten für immer tödlichere Varianten zu benutzen. Jawohl, das ist Wissenschaft, ohne jeden Zweifel.


Im Original erschien der Text am 30. Juli 2021 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Ulrich Tepelmann.