Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Sabine Anders

 

Da wir gerade von Jubiläen sprechen und erst vor Kurzem den 14. Jahrestag dieser Website (www.tcboyle.com) gefeiert haben (am 4. August), würde ich gerne auf einen persönlicheren Jahrestag hinweisen, der heute stattfindet: An diesem Spätsommertag vor zwanzig Jahren sind wir von Los Angeles nach Santa Barbara gezogen, von einem Haus in den Woodland Hills, das damals vierundvierzig Jahre alt war, in dieses, das damals bloß vierundachtzig war. Bevor wir es kauften, war dieses Haus sechs Jahre lang herrenlos und stand daher wunderschön und fröhlich leer. Da wir anfangs über wenig Möbel im Haus verfügten, weil wir den Großteil davon in unserem ehemaligen Haus gelassen hatten, das noch nicht verkauft war (und sich auch vor Dezember nicht verkaufen würde), breiteten wir schließlich Decken auf den Schlafstätten aus – alle fünf von uns, Autor, Frau, Tochter und Söhne – und schliefen selig durch die (weitgehend) moskitofreien Nächte.
     Das erste Wochenende damals, wie dieses, war Labor Day Feiertag, und es war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit, genau wie jetzt. Ich versuchte, einen Überblick über die Lage zu bekommen, sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne, und dachte über all die Arbeit nach, die getan werden musste, und vielleicht blieb ich etwas länger im Bett als gewöhnlich (im Schlafsack eigentlich, weil ich im Laufe der Nacht in den Schlafsack umzog). Ich wurde von den aufgeregten, hohen Stimmen der Kinder geweckt, die riefen: »Daddy, Daddy, es sind Leute hier!« Tatsächlich. Ich kam die Treppe ins Wohnzimmer herunter und begrüßte ein älteres Ehepaar, völlig Fremde, die gekommen waren, um sich das Haus anzusehen, weil sie dachten, dass es immer noch zum Verkauf stand. Woran dachte ich? Dass ich das Schloss an der Tür direkt hinter ihnen reparieren muss. Ich würde gerne erzählen, dass wir mit diesen alten Leuten gefrühstückt haben und sie dann eingeladen haben, bei uns zu wohnen, und das sich Freude ausbreitete wie süßer Kirschsirup in einem Slushie, aber daraus ist nichts geworden. Ich brachte sie zur Tür. Und sie zogen weiter zu neuen Abenteuern, groß oder klein, Abenteuer, von denen ich damals nichts wusste und heute nichts weiß.
     Noch eine Sache über das Wochenende damals. Wie gesagt, war es Labor Day, was Touristen in Hülle und Fülle bedeutete, und natürlich war ich, früher Tourist, kein Tourist mehr, sondern eher Besitzer eines eigenen Heimes und ein EINHEIMISCHER, also führte ich mich an den einheimischen Strand um zu sehen, was Sache war. Er war überfüllt. Hunderte rannten fröhlich ins Wasser und wieder heraus, Hunde bellten, Wellen spritzten. Ich, der einzige in der Menge, zog Maske, Schnorchel und Flossen an, um zu sehen, was unter den Wellen verborgen war, die auf meine neuen Ufer schwappten. Mirabile dictu! Verborgen vor den Blicken der Horden über Wasser, fand hier ein Rochen-Treffen statt, sodass der gesamte Meeresboden mit ihnen zugepflastert war und jeder stachlige Stechrochen und ungeschickte Adlerrochen nur auf die Gelegenheit wartete, den nackten Fuß eines herabsteigenden Primaten zu begrüßen. Steckt eine Lehre darin? Ach, ich weiß nicht. Ich nehme an, sie wäre: »Sei vorsichtig!« oder »Geh immer nur vom Schlimmsten aus!« Und natürlich: »Knorpelfische haben auch Feiertage!«
     Nun, da dieser Blog angeblich über Neuigkeiten meiner neuesten Unternehmungen berichtet, wende ich mich wohl besser ihnen zu. Ihr werdet das Foto anbei bemerkt haben, das mich in Dom Camardella’s Sound Design Studio hier in Santa Barbara zeigt, wo ich mich sehr wohlfühle, da ich in den letzten Jahren mit Dom an einer Reihe von Projekten zusammengearbeitet habe, von der Aufnahme von América und Talk Talk für Blackstone und Wild Child für Penguin Audio über meine Kommentaren vor Kurzem für die BBC und NPR bis hin zu den Geschichten für die Onlineausgabe des New Yorker. Woran ich gerade arbeitete, als Dom den Anlass mit diesem Foto verewigte, war die Aufnahme des letzten – und völlig neuen – Teils von T.C. Boyle Stories II, für die Veröffentlichung im Oktober, wenn das Buch erscheint. Dieser Teil enthält vierzehn Geschichten, die eine neue Sammlung namens A Death in Kitchawank darstellen, aber da Dom und ich zuvor schon vier davon für den New Yorker aufgenommen hatten, konnten wir diese verwenden und unser Arbeitspensum auf zehn Geschichten reduzieren (elf eigentlich, da die Titelgeschichte neu aufgenommen werden musste). Wir wurden, zum Glück, in drei Tagen fertig.
     Zum Glück, ja, weil diese drei Tage von der Zeit abgingen, die ich meinem neuen Roman widme, mein fünfundzwanzigstes belletristisches Werk (Hart auf hart), das ich mich beeile fertig zu schreiben, bevor ich Ende nächster Woche nach Österreich und dann Deutschland aufbreche. Wie ich hier bereits erwähnt habe, ehren mich die Wiener mit ihrer Wahl von América als ihr Buch des Jahres (Eine Stadt, Ein Buch). Und so kann ich, wenn ich das neue vor meiner Abreise fertig bekomme, all die Österreicher und Deutschen unter Euch, die das hier gerade mit den reinsten Herzen und aufgeschlossensten Sinnen lesen, unterhalten, anstatt mein sorgenvolles Selbst von einer Bühne auf die nächste zu schleppen, während das unvollendete Buch wie das Schicksal über mir hängt. Aber keine Sorge. Ich werde fertig werden. Auch wenn ich eine Nacht durcharbeiten muss. Oder zwei. Oder drei.
     Also, auf Wiedersehen für heute. Das war nett zum Aufwärmen, aber wenn Ihr mich entschuldigen wollt, ich muss arbeiten.


Im Original erschien der Text am 31. August 2013 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Sabine Anders.