Von T. Coraghessan Boyle

Deutsch von Sabine Anders

 

Hier bin ich und werde philosophisch, im zweiten Monat meiner Genesung, ein Leser, ein Sitzender, ein Beobachter der Natur im engsten Rahmen, und was habe ich von meinen Mühen gelernt? Nichts, was ich nicht schon wusste. Ich musste einfach eine Geschichte schreiben, die My Pain is Worse Than Your Pain heißt, in der sich der Erzähler das Bein bricht – zweimal – und so das Schicksal herausfordern, aber meine Beteiligung an dieser Geschichte war rein theoretischer Natur und nicht körperlicher, was ihr die Art von Tiefe verliehen hätte, die ich erlebt habe, seit ich in meine eigene Zwangspause gestolpert bin. Nennt es Recherche. Wenigstens weiß ich jetzt, dass ich es vermeiden sollte, irgendeiner von meinen Figuren einen Gehirntumor aufzubürden.
     Ich denke an meinen Jugendfreund Paul Delaney, der schon früh ein Bein verloren hat und den Rest seines überschwänglichen und freudigen Lebens mit einem auskommen musste, während Krücken für ihn so selbstverständlich wurden wie für den Rest von uns zwei Beine. Oder an Jamieson, der mir vor ein paar Monaten erzählt hat, dass er an die Ostküste zurückkehren musste, um seiner Mutter zu helfen, die sich den Knöchel gebrochen hatte. Ich konnte nicht ganz verstehen, was das alles sollte – wer zum Teufel braucht schon einen Knöchel? Lasst uns einfach alle mit unseren Stummeln herumhüpfen. Jetzt weiß ich es besser. Und meine Verletzung war tatsächlich noch sehr leicht – der Gips ist weg, ich treibe wieder Sport, und in einem Monat oder so sollte ich wieder laufen können, wenn alles gut geht.
     Ich denke an Audens Musée des Beaux Arts. Wie sehr hat mich dieses Gedicht gerührt, als ich es während meiner Studienzeit in Iowa zum ersten Mal entdeckte, wie sehr rührt es mich immer noch, da es den Gedanken ausspricht, dass uns der Schmerz, der andere betrifft, die Art, wie jeder andere Körper außer unserem eigenen tickt, vollkommen ungerührt lässt:

»Was das Leiden betrifft, lagen sie nie falsch, die alten Meister; wie gut verstanden sie seine Stellung im menschlichen Leben: Wie es passiert, während jemand isst oder ein Fenster öffnet oder einfach gedankenlos vorbeigeht.« (Sin Dolor, irgendjemand?)

Na gut. Genug. Aber bevor ich mich den Neuigkeiten zuwende, würde ich gerne ein paar Worte über den Tod von Vance Bourjaily verlieren, der mein Freund und Mentor in Iowa war. Vance gab seinen Studenten Unterstützung, war uns ein Vorbild (ich erinnere mich noch an die Spannung, die den Seminarraum in Atem hielt, als er uns erzählte, wie er sich fühlte, nachdem er sich für eine Karriere als Künstler entschieden hatte, und jemand fragte, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente, und er ohne jede Verlegenheit antworten konnte: »Ich schreibe Romane«) und, was am wichtigsten ist, glaube ich, er beruhigte uns, wenn wir selbst Angst hatten oder uns über unser Können Sorgen machten. Er war eine der überragenden Größen in meinem Leben und ohne ihn wäre ich heute nicht der Schriftsteller, der ich bin. Um von etwas fröhlicherem zu sprechen, möchte ich einer der anderen wichtigen Persönlichkeiten in meinem Leben, meinem Agenten Georges Borchardt, gratulieren, der Ende dieses Monats in der französischen Botschaft in New York für seinen Beitrag zur Literatur ausgezeichnet und in die Ehrenlegion aufgenommen wird. Ich wünschte nur, ich könnte dort sein, um mit ihm zu feiern. Er hat sich für Tausende unserer besten Schriftsteller eingesetzt und unermüdlich für ihre Rechte gekämpft. Sein Verstand und seine Ehrenhaftigkeit sind unübertroffen. Als Dichter und Schriftsteller ihn letztes Jahr ausführlich interviewten, wurde er gebeten, sich zu einer Bemerkung zu äußern, die ich einmal über ihn gemacht hatte, nämlich als ich ihn als den allerbesten Menschen in der Geschichte unserer Art bezeichnet hatte. Georges sagte: »Nun ja, wie ihr wisst, neigt Tom zu Übertreibungen.« Pause. »Aber er hat oft recht.«
     Neuigkeiten? Ich habe immer noch vor, zu meinen Auftritten in Las Vegas am 3. November und in Boise am 10. zu erscheinen, selbst wenn ich krabbeln muss. Ich freue mich darauf, wieder aus dem Haus zu kommen und auf der Bühne zu stehen. Ehrlich gesagt kann ich es kaum erwarten. Was neue Veröffentlichungen angeht, so werden viele von Euch bereits wissen, dass die aktuelle Ausgabe von Harper’s eine der sechs neuen Geschichten bringt, What Separates Us From the Animals. Ich habe noch keine Nachricht, wann die restlichen beiden – Good Home und In the Zone – im Playboy bzw. in der Kenyon Review erscheinen, aber ich werde Euch auf dem Laufenden halten. Ich habe gerade erst die Korrekturabzüge des letzten Auszugs aus Wenn das Schlachten vorbei ist an die Iowa Review zurückgeschickt (die ersten beiden sind in McSweeney’s und Orion erschienen). Mir wurde gesagt, dass der Auszug – The Rat Savior – im Dezember erscheinen soll.
     Aber das ist alles. Jetzt muss ich wieder an die Arbeit. Ciao.

P.S.: Das Bild anbei ist Bruegels »Landschaft mit dem Sturz des Ikarus«, das die Inspiration für Audens Gedicht war.


Im Original erschien der Text am 30. September 2010 auf www.tcboyle.com. Veröffentlichung des Textes auf www.tcboyle.de mit freundlicher Genehmigung von T.C. Boyle. Verwendung der deutschen Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von Sabine Anders.